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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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war aber keinesfalls verlegen.
    »Ach, ich liebe die Frauen so wie du auch.« Er tippte sich an die Hutkrempe. »Ich wünsche einen schönen Tag.« Der Blick, mit dem er Susan bedachte, sprach Bände, aber Stephen lachte nur unbekümmert.
    »Sie müssen sich über den alten Sack keine Gedanken machen«, sagte er unverblümt. »Er ist selten nüchtern, auch heute hatte er getrunken. Morgen wird er sich an unsere Begegnung schon nicht mehr erinnern können.«
    Susan fragte sich, wie Stephen zu einem solchen Bekannten kam, aber im Grunde ging es sie ja nichts an. Außerdem wurde ihr Interesse auf etwas anderes gelenkt, denn Stephen führte sie nicht zum Automobil zurück, sondern links um das Theatergebäude herum.
    »Wohin gehen wir?«
    »Wir machen der lieben Janna unsere Aufwartung«, antwortete Stephen. »Keine Sorge, nur ein paar Minuten, aber sie erwartet es von mir. Wir sind schließlich alte Freunde.«
    Susan wollte gar nicht wissen, welcher Art diese
Freundschaft
war, konnte es sich jedoch denken. Janna Howard war hübsch, und Stephen liebte schöne Frauen.
    Der Mann an der Hintertür ließ sie passieren, als Stephen seinen Namen nannte, und durch einen verwinkelten, bis an die Decke mit Kisten und Kartons vollgestellten Gang erreichten sie Jannas Garderobe. Außer ihnen hatten sich bereits andere Zuschauer eingefunden. Stephen ging auf Janna zu und küsste ihr die Hand, die sie ihm wie die Königin persönlich entgegenstreckte.
    »Meine Liebe, ich gratuliere dir. Du warst heute mal wieder ganz bezaubernd! Ich bin ehrlich beeindruckt und hoffe, dass bald ein Londoner Theater dein großes Talent erkennt und dich engagiert. Du gehörst einfach auf die großen Bühnen dieser Welt.«
    Mit Erstaunen hörte Susan Stephens Lobhudelei. Sie selbst gab der Schauspielerin nur kurz die Hand, nachdem er sie vorgestellt hatte, enthielt sich jedoch jeglichen Kommentars über ihr Spiel. Er wurden Erfrischungen und kleine Canapées gereicht, und Susan nahm sich ein Glas Zitronenlimonade. In einer ruhigen Ecke, während Janna Howard sich im Gespräch mit anderen befand, flüsterte sie Stephen zu: »Ich denke, Sie fanden sie schlecht.«
    Stephen zuckte mit den Schultern und lächelte.
    »Das sagt man einem Künstler doch nicht ins Gesicht. Schmeichelei gehört zum Geschäft, meine liebe Susan, jeder tut das hier. Schauspieler, ganz besonders die weiblichen, leben von Lob und Anerkennung. Das ist für sie fast noch wichtiger als die Gage. Ein paar nette Worte kosten mich nichts, Janna jedoch versüßen sie den Tag.«
    »Wecken Sie mit Ihren Worten nicht Hoffnungen, die sich niemals erfüllen werden?«, gab Susan zu bedenken.
    »Künstler leben von der Hoffnung. Hintenherum schimpft in diesem Metier jeder über jeden, aber offen ins Gesicht sagen tut es niemand. Das ist so eine Art Ehrenkodex. Lediglich den Kritikern ist es erlaubt, offene und ehrliche Worte zu finden.«
    Susan begann zu verstehen. »Aber wenn Janna die Kritiken in der Zeitung liest, wird sie feststellen, dass all die schönen Worte nur Schall und Rauch sind. Ist das für eine Schauspielerin nicht viel frustrierender, als von ihren Freunden die Wahrheit zu erfahren?«
    Stephen beugte sich herunter und flüsterte Susan ins Ohr: »Nicht hier in Plymouth. Der Herausgeber der wichtigsten Zeitung ist ebenfalls ein Gönner Jannas. Es werden keine Verrisse über das Stück in der Zeitung erscheinen. Die gute Janna wird jedoch zeit ihres Lebens an provinziellen Bühnen bleiben, außer sie trifft jemanden, der sie nach London, und von dort aus nach Europa bringt. Nun, hübsch genug dafür ist Janna ohne Zweifel.«
    Susan verstand und nickte, wenngleich sie Stephens Meinung nicht teilte. Wenn sie an Jannas Stelle wäre, würde sie ehrlich wissen wollen, wie andere über sie dachten und ob sie wirklich eine gute Schauspielerin war. Ein kurzes, bitteres Lächeln huschte über Susans Lippen. Überall auf der Welt war es das Gleiche – wer über Beziehungen verfügte, der machte seinen Weg, gleichgültig, ob mit oder ohne Talent.
    Während der Fahrt zurück nach Looe schwieg Susan. In den wenigen Stunden des Nachmittags hatte sie einen Blick in eine Welt geworfen, die ihr vorher fremd gewesen war. So schlecht das Stück und vor allem die Hauptdarstellerin gewesen war – Susan hatte sich einer gewissen Faszination nicht entziehen können. Hinter der Bühne hatte es nach Schweiß, Tabak und Schminke gerochen, gleichzeitig aber auch nach Holz und frischer Farbe. Diesem Geruch

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