Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
Vom Netzwerk:
sollte, so stammelte sie nur ein leises »Danke« und verließ die Bühne. Sie wurde bereits von einer kleinen, molligen Frau mit Brille erwartet.
    »Herzlichen Glückwunsch, Susan«, sagte diese und streckte ihr die Hand entgegen. »Mein Name ist Dorothea Hawkins, aber alle nennen mich nur Doro. Willkommen in unserem Ensemble. Es ist dir doch recht, wenn ich dich Susan nenne? Wir duzen uns hier nämlich alle.«
    »Ja, natürlich … Doro«, erwiderte Susan. »Ich bin völlig überrascht, ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt eine Chance habe …«
    Doros Augen hinter den dicken Brillengläsern leuchteten.
    »Ich habe dich auf der Bühne gehört, du bist wirklich gut.« Als sie Susans skeptischen Blick sah, fuhr sie lächelnd fort: »Das kannst du mir ruhig glauben. Auch wenn ich keine Schauspielerin bin, dazu ist mein Aussehen nicht ansprechend genug, so habe ich mein ganzes Leben in der Theaterwelt verbracht. Du musst wissen, meine Eltern waren auch Schauspieler, und so wurde ich in das Metier hineingeboren. Darum kann ich durchaus beurteilen, ob es jemand schafft, das Publikum zu erreichen, oder nicht. Und du, Mädchen, hast das Zeug dafür, du musst nur noch ein wenig Erfahrung sammeln.«
    »Danke«, sagte Susan schlicht. Sie spürte, dass Doro es ehrlich meinte. Sie folgte ihr in ein kleines, fensterloses Büro, in dem ein Durcheinander herrschte, als wäre es gerade von Einbrechern durchwühlt worden. Auf allen Möbelstücken lagen Aktenordner und Papiere, selbst der Fußboden war mit allerhand Schriftkram und Büchern bedeckt. Offenbar hielt Doro nicht viel von Ordnung. Trotzdem zog sie zielsicher einen Ordner unter einem Stapel Zeitungen auf einem runden Tisch hervor, schob mit dem Arm ein Stück auf dem Schreibtisch frei und bat Susan, sich zu setzen. Susan entdeckte einen freien Stuhl und nahm auf ihm Platz.
    Doro las ihr die Konditionen des Vertrages vor, in dem auch ihre Gage geregelt wurde. Susan verpflichtete sich vorerst für ein Vierteljahr, dann konnte der Vertrag sowohl von ihr als auch von Theodor Murphy, falls dieser mit ihrer Leistung nicht zufrieden sein sollte, ohne großes Aufhebens gekündigt werden. Sollte das nicht der Fall sein, verlängerte sich der Vertrag automatisch um ein volles Kalenderjahr. Die Gage, die Susan wöchentlich erhalten sollte, war nicht hoch, ihr kam es jedoch nicht auf das Geld an. Endlich hatte sie eine Aufgabe, für die es sich lohnte, morgens aufzustehen. Da fiel Susan etwas ein, und sie fragte: »Mein Zimmer, das ich derzeit bewohne, ist ein ganzes Stück von hier entfernt. Du kennst nicht zufällig eine gute und günstige Pension hier in der Nähe?«
    Doro grinste, und zum ersten Mal dachte Susan, dass sie eigentlich ein ganz hübsches Gesicht hatte, wenn nur diese Brille nicht wäre und sie ihr dickes, dunkelblondes Haar vorteilhafter frisieren würde.
    »Du hast Glück, Susan, bei uns ist ein Zimmer frei. Uns – das heißt, ich und drei andere Schauspielerinnen teilen uns eine Wohnung, und die eine ist letzte Woche ausgezogen, weil sie geheiratet hat. Somit haben wir Platz und sind auf der Suche nach einer neuen Mitbewohnerin. Am liebsten wäre uns natürlich jemand, der ebenfalls an diesem Theater engagiert ist, so kennt man sich wenigstens. Wenn du willst, kannst du dir das Zimmer nachher gleich ansehen.«
    Susan konnte ihr Glück kaum fassen. Sie hatte nicht nur eine Stellung, sondern auch eine neue Bleibe gefunden. Das Argument, die vier Meilen von Fulham nach Covent Garden wären ihr zu weit, hatte Susan nur vorgeschoben. Früher war sie weiter zu ihrer Arbeitsstelle gelaufen, und heute konnte sie sich jederzeit eine Fahrt mit der U-Bahn oder in den motorisierten Bussen leisten. Susan wollte jedoch von Mrs. Oxcombe fort. Sie ahnte, dass die Wirtin eine Schauspielerin unter ihrem Dach nicht dulden würde, außerdem wollte Susan Ernest Hornsby nicht mehr sehen. Nicht nur, dass der junge Mann mit seinem verliebten Dackelblick ihr auf die Nerven ging – er und sein Vorgesetzter wussten zu viel von ihrer Vorgeschichte. Sie würde Jimmy nicht zurückbekommen, damit hatte Susan sich abgefunden, daher war es besser, die Vergangenheit zu vergessen und einen Schnitt in ihrem Leben zu machen. Sie wollte die Leute glauben lassen, sie wäre Witwe, und ihre Kinder mit keinem Wort erwähnen.
    Am Nachmittag schaute sie sich das Zimmer in der Wohngemeinschaft an. Das fünfstöckige Haus lag nur zwei Querstraßen vom Theater entfernt in einer Reihe von Häusern,

Weitere Kostenlose Bücher