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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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wenigen Stunden bei Sarah Bernhardt mehr gelernt zu haben als andere in teuren Schauspielschulen. Darum war sie heute Morgen voller Optimismus zu Theodor Murphy gegangen, doch jetzt hatte sie nur einen einzigen Wunsch: so schnell wie möglich die Bühne zu verlassen und ihn und das Theater niemals wiederzusehen.
    »Nur Mut, Mrs. Hexton«, forderte Theodor sie auf. »Wir haben noch niemanden gefressen.« Er lachte und zwinkerte seinem Sitznachbar zu. »Jedenfalls bis jetzt noch nicht, wobei mein Freund Jackmann heute noch nicht gefrühstückt hat.«
    Beide Männer lachten über diesen Witz, der jedoch nicht dazu dienlich war, Susan etwas von ihrer Nervosität zu nehmen. Marcus Jackmann, so sollte sie später erfahren, war der Autor des Stückes, für das Theodor Murphy Darstellerinnen suchte. Daher war er bei dem Vorsprechen ebenfalls anwesend. Sie räusperte sich mehrmals und begann dann mit einem Monolog aus Shakespeares
Viel Lärm um nichts
, das nach wie vor ihr Lieblingsstück war.
    Nach zwei Sätzen wurde sie von Murphy unterbrochen.
    »So geht das nicht, Susan, Sie müssen lauter sprechen. Die Zuschauer auf den hinteren Rängen wollen schließlich auch etwas hören. Ihre Stimme muss den ganzen Raum füllen.«
    Nun waren außer ihnen keine weiteren Personen im Theater, aber Susan verstand, was er meinte. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung.
    »Sie müssen in den Bauch atmen«, hatte Sarah ihr geraten und Susans Hand auf ihren Bauch gelegt. »Spüren Sie, wie sich mein Bauch nach außen wölbt, wenn ich einatme? Und wie er sich bei der Ausatmung nach innen zieht?«
    Susan legte beide Hände auf ihren Bauch und machte drei tiefe Atemzüge, dann begann sie erneut. Dieses Mal trug sie ihren knapp fünfminütigen Monolog vor, ohne unterbrochen zu werden. Nachdem sie geendet hatte, blickte sie gespannt in die Gesichter der beiden Männer, in denen sich jedoch keine Regung zeigte. Bange Minuten schienen zu vergehen, in Wirklichkeit wohl nur Sekunden, bis Theodor Murphy sagte: »Jetzt singen Sie bitte etwas.«
    Susan schluckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste nicht, ob sie eine schöne Singstimme hatte, denn außer für Jimmy hatte sie noch nie gesungen. Ihrem Jungen jedoch hatte es immer gut gefallen, er hatte seine kleinen Hände zusammengeschlagen und freudig gejuchzt.
    »Ich habe nichts vorbereitet«, sagte Susan unsicher.
    Theodor Murphy winkte ab.
    »Das macht nichts. Sie werden ja wohl irgendein Lied kennen, nicht wahr?«
    Susan konzentrierte sich wieder auf ihre Atmung, dann stimmte sie ein einfaches Kinderlied an, das Jimmy besonders gemocht hatte. Als der letzte Ton verklungen war, konnte sie erneut keine Reaktion auf den Gesichtern der Männer ablesen.
    »Danke, Susan, bitte warten Sie draußen.«
    Susan stolperte mehr, als dass sie ging, von der Bühne. Durch den Hinterausgang gelangte sie in einen kleinen Innenhof. Sie brauchte jetzt frische Luft.
    »Ich war zu schlecht«, sagte sie leise zu sich. »Ich gehöre nicht auf die Bühne.«
    Nervös ging sie auf und ab, immer acht Schritte in die eine Richtung, dann wieder acht Schritte in die andere. Sie fühlte sich in dem Hof wie in einer Gefängniszelle, wagte aber nicht, auf die Straße zu treten und sich weiter vom Theater zu entfernen. Sie hatte keine Uhr bei sich, daher erschien ihr die Wartezeit endlos. Von einem Kirchturm in der Nähe schlug es zur Mittagsstunde. Da Susan um zehn Uhr zum Vorsprechen gekommen war und kaum eine halbe Stunde auf der Bühne gestanden hatte, ließen sich die beiden Herren reichlich Zeit. Endlich erschien ein älterer Mann, der Portier, wie Susan später erfahren sollte, und bat sie ins Theater zurück. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie wieder auf die Bühne trat, doch dann sah sie das aufmunternde Lächeln auf Theodor Murphys Gesicht.
    »Mrs. Hexton«, sagte er, nun wieder förmlich, »wann können Sie anfangen?«
    »Sofort …« Susan fehlten die Worte.
    Murphy nickte. »Nächste Woche beginnen wir mit den Proben für ein Lustspiel. Ich werde Sie darin als eines der Blumenmädchen einsetzen. Es ist vorerst zwar nur eine kleine Sprechrolle, Sie können jedoch beweisen, wie ernst es Ihnen mit der Schauspielerei ist. Im nächsten Jahr planen wir ein musikalisches Stück. Ich finde, Sie haben eine sehr schöne Stimme, ich würde Sie gerne als Sängerin auf der Bühne sehen. Wenden Sie sich bitte an meine Mitarbeiterin, sie wird den Vertrag aufsetzen.«
    Susan wusste immer noch nicht, was sie sagen

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