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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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die sich wie ein Ei dem anderen ähnelten. Die Wohnung war im Dachgeschoss und bot einen fantastischen Blick über die Dächer der Stadt bis hin zur Themse. Das freie Zimmer war großzügig geschnitten und vollständig möbliert. Es verfügte sogar über einen kleinen Ofen, auf dem sich Susan Teewasser und kleine Speisen zubereiten konnte. Ansonsten teilten sich die vier Frauen die Küche und das Bad, in dem es eine Toilette mit Wasserspülung und eine Badewanne mit fließendem Wasser gab. Da an diesem Nachmittag keine Proben angesetzt waren, konnte Doro Susan gleich die Mitbewohnerinnen vorstellen.
    »Das sind Joan und Hetty, zwei patente Frauen, mit denen man auskommen kann, auch wenn sie manchmal etwas anstrengend sind«, sagte Doro schmunzelnd.
    Die Brünette, Joan, knuffte Doro spielerisch in die Seite.
    »Na, es fragt sich, wer es hier mit wem aushält.« Sie lachte und schüttelte Susans Hand. »Willkommen im Club, wir sind gar nicht so schlimm. Es freut mich, dass du nicht nur mit uns zusammenarbeitest, sondern auch bei uns wohnen willst.«
    Hetty, eine schlanke, große Frau mit so blonden Haaren, dass sie beinahe weiß wirkten, begrüßte Susan ebenso herzlich.
    »Du bist also die Neue«, stellte sie fest, musterte Susan eindringlich und nickte dann. »Du bist hübsch, ohne Zweifel. Wenn du auch noch was kannst, dann wirst du bestimmt bald Erfolg haben.«
    Susan freute sich über die herzliche Aufnahme. Der Mietpreis für das Zimmer war zwar fast doppelt so hoch wie bei Mrs. Oxcombe, aber ihr Zimmer war nicht nur größer, sondern lag auch zentraler und war damit das Geld wert. Sie vereinbarte, gleich am nächsten Tag einzuziehen, damit sie am kommenden Montag, wenn für sie die Proben begannen, vollständig eingerichtet war.
    Noch am selben Abend packte Susan ihre Sachen und kündigte bei Mrs. Oxcombe. Die Wirtin war über Susans plötzlichen Auszug wenig erfreut, denn sie hatte gehofft, in der jungen Witwe eine Dauermieterin wie in Ernest Hornsby gefunden zu haben, an denen sie mehr verdiente als an den Leuten, die nur wenige Nächte blieben. Als Mrs. Oxcombe jedoch hörte, dass Susan nun zum Ensemble des
Blue Horizon Theatre
gehörte, verdüsterte sich ihr Gesicht, wie von Susan vermutet.
    »Sie werden Schauspielerin?« So, wie Mrs. Oxcombe das Wort aussprach und verächtlich ihre Mundwinkel nach unten zog, klang und wirkte es, als wolle Susan als Prostituierte arbeiten, was wahrscheinlich für Frauen von Mrs. Oxcombes Alter und Erziehung ein und dasselbe war. »Nun, Sie müssen wissen, was Sie tun.«
    Susan ließ sich durch das Verhalten der Wirtin nicht verunsichern. Als sie am nächsten Tag in die Wohnung bei Covent Garden zog, sah sie einer neuen, einer besseren Zukunft entgegen.
     
    Schon nach einer Woche musste Susan feststellen, dass Theodor Murphy ein sehr penibler, unermüdlicher und auch strenger Regisseur war. Das Stück hieß
Laura’s Dream
und handelte von einem einfachen Mädchen, das sich in einen jungen Mann der Upper Class verliebte, der zudem einer anderen versprochen war. Nach einigen Verwicklungen entschied sich der Mann jedoch dafür, seinem Herzen zu folgen, und es kam zu einem glücklichen Ende. Die Dialoge waren gespickt mit Humor, denn
Laura
war eine schlagfertige Frau, die jede Situation mit Wortwitz meisterte. Das Stück war eine romantische Komödie, nicht sehr anspruchsvoll, aber leicht zu verstehen und genau das Richtige für einen entspannenden Abend, wie Theo meinte.
    »Tagein, tagaus müssen sich die Menschen mit Problemen herumschlagen«, erklärte Theo. »Da sehnen sie sich danach, sich am Abend einfach gemütlich hinzusetzen, die Beine auszustrecken und sich von etwas Unkompliziertem und Leichtem berieseln zu lassen. Wir spielen hier schließlich nicht für die Damen und Herren des Adels, sondern für das einfache Volk, das es sich leisten kann, ein Theater zu besuchen. Shakespeare ist unserem Publikum zu anspruchsvoll, es liebt das Blue Horizon wegen seiner leichten Stücke.«
    Außer Joan und Hetty gehörten noch zwei weitere junge Frauen und drei Männer zum Ensemble. Zwei der Männer waren in Susans Alter, der dritte Mann ging bestimmt schon auf die fünfzig zu und wurde für Vaterrollen eingesetzt. Die Männer begrüßten Susan herzlich, und die Jüngeren ließen ihre Blicke unverhohlen über Susans schlanke Figur gleiten. Damit hatte Susan keine Probleme, denn bald würden Hunderte von Leuten sie betrachten. Sollten ihre Kollegen zudringlich werden, so

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