Das Lied der Maori
Callie begierig danach schnappte.
»Aber Thomas ist ... er ist furchtbar ... ich muss ihr sagen ...«, stammelte Elaine und legte dabei ihr Besteck ab, als habe sie vor, aufzuspringen und sich sofort mit Zoé in Verbindung zu setzen.
»Thomas ist in einer Anstalt für geistig Kranke«, erinnerte Tim sie sanft und legte seine Hand auf ihre. »Er kann keinem mehr etwas tun.«
»Eben«, fuhr Stephen gelassen fort. »Aber er ist nach wie vor der Erbe von Lionel Station. Und wie ich diesen John Sideblossom einschätze, hat er auch kein weiterführendes Testament gemacht, in dem er festgelegt hat, dass seine Ehefrau mit einem bestimmten Legat versorgt wird. So wie es zurzeit aussieht, ist sie fast mittellos. Sie kann allenfalls auf Lionel Station wohnen bleiben. Und selbst da könnte Elaine ihr Schwierigkeiten machen ...«
»Ich?«, fragte Elaine verblüfft. Sie schien sich wieder ein wenig gefangen zu haben.
»Natürlich du«, sagte ihr Vater. »Als seine Ehefrau giltst du bislang als Thomas’ nächste Verwandte. Du hast die Verfügungsgewalt über seine Güter, und wenn er sterben sollte, bist du Alleinerbin.«
Elaine wurde erneut blass.
»Es kommt noch besser«, führte Stephen genüsslich aus. »Wenn es zum Beispiel den Ärzten in dieser Irrenanstalt gelingt, dem guten Thomas seinen letzten Rest Verstand auch noch auszutreiben – sie werden kaum länger als ein oder zwei Jahre dazu brauchen –, kannst du ihn entmündigen lassen. Und schon bist du dauerhaft Herrin über eine hübsche Farm und zwölftausend Schafe. Hast du dir das nicht immer gewünscht?« Stephen grinste.
Elaines Hände fuhren zitternd über das Tischtuch.
»Du solltest auch mal an Callies Bedürfnisse denken!«, fügte Stephen mit ernstem Gesicht hinzu. Die kleine Hündin wedelte, als sie ihren Namen hörte. Sie sah Stephen anbetend an und gierte nach weiteren Leckerbissen. »Sie ist immerhin ein Hütehund. Sie braucht ein paar Schafe.«
Elaine bemerkte jetzt erst, dass ihr Bruder scherzte, und versuchte ein klägliches Lächeln.
»Ganz im Ernst, Elaine, unter finanziellen Gesichtspunkten solltest du dir das mit der Scheidung noch einmal durch den Kopf gehen lassen«, meinte George Greenwood. »Wir sind da in einer exzellenten Verhandlungsposition. Vielleicht würde Mrs. Sideblossom sich auf eine Unterhaltsvereinbarung einlassen.«
Elaine schüttelte heftig den Kopf. »Ich will kein Geld von ihnen«, flüsterte sie. »Soll Zoé es haben! Die Hauptsache ist, dass ich ihn nie wiedersehe.«
»Das dürfte sich auch ohne Zusatzvereinbarung machen lassen«, meinte Greenwood. »Meinem Anwalt zufolge plant Zoé eine Übersiedlung nach London. Sobald ihr künftiger Gatte reisefähig und die Ehe geschlossen ist. Ein entsprechendes Sanatorium in Lancashire, in dem man ihn in angenehmer Atmosphäre zuverlässig wegsperrt, hat sie schon gefunden. Angeblich sind die Anstalten in England moderner und bieten höhere Heilungschancen ...«
Stephen lachte. »Vor allem ist London weitaus attraktiver für junge Witwen als der letzte Winkel des Lake Pukaki.«
»Ich hoffe, sie wird glücklich«, meinte Elaine ernst. »Sie war nicht allzu nett zu mir, aber ich glaube, sie hat einiges durchgemacht. Wenn sie jetzt in England findet, was sie sucht, soll es mir recht sein. Wie lange meint der Anwalt, dass es dauern wird, Onkel George?«
»Du kannst also wieder tanzen üben!«, sagte Elaine zärtlich. Es war viel später an diesem Abend, und sie war ein bisschen beschwipst vom Champagner und der Aussicht, endlich frei zu sein. Tim küsste sie vor dem Stall des Hotels, während Roly Fellow vor die Chaise spannte.
»Und wenn ich Onkel George richtig verstanden habe, müssen wir nicht einmal nach Wales.«
Tim nickte und streichelte ihr übers Haar.
»Und wenn
ich
Onkel George richtig verstanden habe, lasse ich demnächst tanzen«, meinte er grimmig. »Florence Weber wird sich wundern, wie viel Leben noch in der Lambert-Mine steckt!« Er lächelte. »Es tut mir nur leid für Callie wegen der vielen entgangenen Schäfchen.« Callie hörte ihren Namen und sprang an ihm hoch. »Wir könnten ja ein paar anschaffen und auf dem Minengelände weiden lassen ...«
Elaine lachte und streichelte die Hündin. »Ach was, sie soll demnächst Kinder hüten!«
10
Tim Lambert nahm sein neues Büro in Besitz. Es war etwas kleiner als das seines Vaters, schon um den Schein zu wahren. Offiziell stand Marvin Lambert seiner Mine immer noch vor. Doch Tim verfügte über
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