Das Lied der Maori
ich bin kein Kaufmann, Matt. Ich hab keine Begabung dafür ... und ehrlich gesagt auch nicht die geringste Lust.«
»Aber Lainie ...« Matt wusste durch Charlene von dem Angebot und versuchte, noch ein heikles Thema vorsichtig anzuschneiden.
Tim winkte ab. »Ja, ich weiß. Lainie hat im Laden ihres Vaters geholfen, seit sie klein war. Sie könnte das Geschäft führen, während ich bestenfalls Vogelhäuser baue ...«
»Wozu mir Florence und Caleb Biller einfallen«, bemerkte Matt.
Tim nickte. »Mit dem kleinen Unterschied, dass Caleb dieses Leben gefällt. Der erforscht lieber die Kultur der Maoris, als sich mit Steinen zu beschäftigen. Und auf die Dauer wird er damit sogar Geld verdienen. Das tut er ja jetzt schon. William und Kura haben ihn ziemlich großzügig an den Einnahmen ihrer Konzerte beteiligt. Ich dagegen ... Und außerdem gehöre ich nicht zu denen, die sich leicht damit einrichten, vom Erbe ihrer Frau zu leben oder von der Großmut des Schwiegervaters.«
»Und etwas anderes? Außerhalb der Bergwerke?« Matt spornte sein Pferd im Schritt etwas an, denn mittlerweile wurde es doch spät.
»Ich hab schon an Gleisbau gedacht«, meinte Tim. Im Grunde grübelte er seit Wochen über nichts anderes nach als irgendeine Beschäftigung. »Mr. Redcliff in Blenheim hat Andeutungen gemacht. Aber ... ich kann mir da nichts vormachen, Matt! Im Eisenbahnbau haben sie keine festen Büros, bei der Inspektion der Anlagen reist man herum, schläft in Zelten oder Notquartieren. Es ist nass und kalt. Das schaffe ich nicht.«
Tim senkte geschlagen den Kopf. Er hatte das noch nie ausgesprochen, und er würde auch nie darüber klagen, wie sehr ihm allein der erste Winter nach dem Unfall zugesetzt hatte. Aber das würde nicht besser werden, wie Dr. Leroy ihm brutal klargemacht hatte. Eher schlimmer.
»Wales ist auch nicht gerade für sein trockenes und warmes Klima bekannt«, bemerkte Matt.
Tim biss sich auf die Lippen. »Es muss ja nicht Wales oder England sein. Auch im Süden Europas gibt es Bergwerke ...«
... die nur auf jemanden warten, der an Krücken geht und nicht mal die Landessprache versteht. Die Männer teilten den gleichen, bitteren Gedanken, doch keiner sprach ihn aus.
Inzwischen hatten sie die Stadt erreicht, und Matt verhielt sein Gespann vor dem Bahnhof. Der Zug war bereits eingefahren, und Tim sah einen großen, schon etwas älteren, aber noch schlanken und erlesen gekleideten Herrn aussteigen. Vermutlich der Investor.
»Dann werde ich den Mann mal einladen«, seufzte Matt. »Und damit vermutlich meinen eigenen Abstieg einleiten. Der setzt mir garantiert einen Studierten vor die Nase, und ich kann wieder als Steiger Staub schlucken.«
In den letzten Monaten hatte Matthew de facto die Mine geleitet. Marvin Lambert war zwar fast jeden Tag im Büro, verhinderte Entscheidungen aber eher, als dass er sie fällte.
»Sehe ich dich nachher im Pub?«
Tim schüttelte den Kopf. »Eher nicht. Ich werde zwar zum Dinner in der Stadt sein, aber es ist ein Familienessen in einem der nobelsten Hotels am Kai. Ruben O’Keefe lädt ein. Sie erwarten irgendeinen Onkel aus Canterbury. Diesmal wahrscheinlich einen Schafbaron ...« Tim wirkte desinteressiert. Im Grunde graute ihm vor noch mehr Familie, die Elaine auf der Südinsel hielt.
Matt winkte ihm zu. »Dann amüsier dich gut! Und wünsch mir Glück! Ich erzähle dir morgen, wie es war.«
Tim sah seinem Freund nach, der lässig über eine Absperrung sprang, um den Bahnsteig schneller zu erreichen. Matt sprach den älteren Herrn höflich an und nahm dann lächelnd seinen Koffer. Der junge Steiger hatte zumindest die Chance, Marvins neuen Geldgeber beim Rundgang durch die Mine von seinen Fachkenntnissen zu überzeugen. Tim wünschte ihm wirklich Glück. Aber noch mehr beneidete er ihn.
Elaine sah reizend aus, als sie Tim vor dem besten Hotel der Stadt in Empfang nahm. Sie trug ihr dunkelblaues Kleid und streichelte das Pferd, mit dem ihr Vater gekommen war und das jetzt neben Banshee stand. Auch für die Vierbeiner war es ein Familientreffen. Der Rappe war Banshees Fohlen, das Elaine nach ihrer Heirat in Queenstown zurückgelassen hatte. Tim hoffte, dass sie ihn jetzt nicht auch mit nach Übersee nehmen wollte ...
Tim hatte sich an diesem Abend von Roly kutschieren lassen. Der Ausritt am Morgen reichte ihm; um seine hilflose Wut abzureagieren, hatte er ihn diesmal auf mehr als zwei Stunden ausgedehnt. Außerdem trug er Abendgarderobe. Dieser Onkel war wohl
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