Das Lied der Maori
am Leben ließe. Beerben würden die ihn ganz sicher nicht!
In jener Nacht musste er Emere das erste Mal in sein Bett zwingen – und er schien es zu genießen. Seitdem hasste sie alles an Sideblossom, und sie wusste bis heute nicht, warum sie trotzdem geblieben war. Sie hatte sich tausendmal dafür verflucht, für diese Faszination, die er bis zuletzt auf sie ausgeübt hatte, für ihr würdeloses Leben zwischen Verlangen und Hass. Und noch mehr verfluchte sie sich dafür, dass sie seinen Sohn von dieser weißen Frau am Leben gelassen hatte. Aber damals hatte Emere noch Skrupel gehabt, ein wehrloses Kind zu töten. Bei Zoés Kindern längst nicht mehr.
Ihren Erstgeborenen hatte sie dann zu ihrem Stamm gebracht. Tamati, das einzige ihrer Kinder, das John Sideblossom nicht ähnlich sah. Und das nun sein Schicksal erfüllt hatte, indem es das flammenhaarige Mädchen schützte.
Emere hob die
pecorino
-Flöte und huldigte den Geistern. Sie hatte Zeit. Zoé Sideblossom war jung. Solange sie lebte und Lionel Station Geld abwarf, war Emere sicher. Niemand würde die Hand auf das Haus und das Land legen. Und später? Rewi, ihr Drittgeborener, war klug. John hatte ihn erst kürzlich auf die Farm geholt, doch Emere dachte nun daran, ihn zurück nach Dunedin zu schicken. Er konnte weiter zur Schule gehen, vielleicht den Beruf dieses Mannes ergreifen, der neulich mit Zoé gesprochen hatte. Rechtsanwalt ... Emere ließ das Wort über ihre Zunge gleiten. Jemand, der anderen zu ihrem Recht verhalf. Vielleicht erkämpfte Rewi sich irgendwann sein Erbe. Emere lächelte. Die Geister würden es richten.
11
Tim Lambert tanzte tatsächlich auf seiner Hochzeit. Zwar nur einen kurzen Walzer und schwer auf seine Braut gestützt, doch die Zuschauer applaudierten frenetisch. Die Minenarbeiter warfen ihre Mützen in die Luft und feuerten ihn an wie bei einem Rennen, und Berta Leroy hatte Tränen in den Augen.
Tim und Lainie heirateten am Tag der heiligen Barbara, genau zwei Jahre nach dem legendären »Lambert Derby«. Wieder gab es ein großes Fest auf dem Minengelände. George Greenwood präsentierte sich als neuer Teilhaber und führte sich und seinen Geschäftsführer Tim Lambert ein, indem er die gesamte Belegschaft und die halbe Stadt Greymouth zu Freibier, Barbecue, Wettspielen und Tanz einlud. Nur ein Pferderennen gab es diesmal nicht.
»Wir wollten einfach nicht riskieren, dass meine Braut mir wegreitet«, bemerkte Tim in seiner bejubelten Ansprache und küsste Lainie vor versammelter Mannschaft. Wieder grölten alle; nur Elaine wurde ein wenig rot. Schließlich waren diesmal auch ihre Mutter und Großmutter unter den Zuschauern. Fleurette und Helen winkten ihr jedoch aufmunternd zu. Beide mochten Tim. Auch Fleurettes berühmte Instinkte erhoben keine Einwände.
Der Reverend hatte diesmal nicht mit Gewissensnöten rund um die Wettleidenschaft seiner Schäfchen zu kämpfen. Dafür stand er vor dem Problem der Trauung einer geschiedenen Braut. Elaine trat immerhin nicht in Weiß auf, sondern trug ein lichtblaues Kleid, das mit dunkleren Borten verziert war – natürlich wieder aus Mrs. O’Briens Schneiderwerkstatt. Auch auf den Schleier hatte sie verzichtet, zugunsten eines Kranzes aus frischen Blumen.
»Sieben Blüten müssen es sein!«, bestimmte sie und verursachte ihren Freundinnen damit einiges Kopfzerbrechen. »Dann kann ich sie in der Hochzeitsnacht unter mein Kopfkissen legen ...«
»Aber wehe, du träumst dann von jemand anderem!«, neckte Tim sie mit der Geschichte jener längst vergangenen Johannisnacht.
Der Reverend rettete sich schließlich ebenso durch die anstößige Trauung wie durch die Geschichte mit der heiligen Barbara, an die er als Methodist nach wie vor nicht glaubte. Er las einfach eine Messe unter freiem Himmel und versah die Stadt und die Versammelten anschließend mit einem allumfassenden Segen. Tim und Elaine beorderte er dazu in die erste Reihe, und Elaines Bruder Stephen spielte
Amazing Grace
.
Kura-maro-tini hätte das Fest gewiss um kompliziertere Rhythmen bereichert, doch sie war nicht anwesend. Tim und Elaine würden sie allerdings auf ihrer Hochzeitsreise treffen. Elaine wollte nicht nur Queenstown, sondern auch Kiward Station wiedersehen, und Helen interessierte sich brennend für Kuras Musikprogramm. Deshalb würden alle außer Ruben, der sich wieder um seine Geschäfte kümmern musste, nach der Hochzeit nach Christchurch fahren, um Kuras und Marisas groß angekündigtem
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