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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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stieß sie hervor und erhob sich. »Aber … aber das Wasser ist so tief. Und … ich … ich kann nicht mit dem Kopf unter Wasser.« Sie sah ihn an, die Wimpern nass vor Tränen. »Es … es tut mir leid. Aber … ich … ich will nicht … auch … ertrinken.« Sie drehte sich um und watete heulend dem Ausgang zu.  
    »Ann! Nein, Ann, bleib …« Er schluckte Wasser, hustete.  
    Gütiger Gott im Himmel, was tat sie ihm hier an? Erneut zerrte er an den Fesseln, wand seine Handgelenke. Die Finger seiner rechten Hand bekamen etwas Hartes, Metallenes zu fassen, dann entglitt es ihnen wieder. Er öffnete den Mund, um Ann zurückzurufen, aber sofort drang gurgelnd Wasser in seine Kehle.  
    Es war so weit. Gleich würde er ertrinken. Er keuchte. Legte den Kopf in den Nacken, umso lange wie möglich Luft zu haben. In seinen letzten Sekunden sollte er etwas Schönes … Moira … ihre kristallblauen Augen … o Herrgott, hilf …  
    Seine linke Hand war frei! Irgendwie hatte er sie aus den Handschellen herauswinden können. Hatte der aufgewirbelte Lehm dabei geholfen? Oder hatte Ann doch eines der Schlösser geöffnet? Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn seine Rechte steckte nach wie vor in der Fessel und hielt ihn am Boden.  
    Er schnappte nach Luft und tauchte unter, drehte sich um die eigene Achse und suchte den Boden des Schuppens nach dem Schlüsselbund ab. Seine eingeschlafenen Glieder sandten stechende Schmerzen durch seinen Körper. In der trüben Brühe sah er nahezu nichts, doch endlich spürte er das Gesuchte unter seinen tastenden Fingern und griff zu. Wertvolle Sekunden verstrichen, bis er einhändig einen Schlüssel herausgesucht und in das Schloss an den Handschellen gesteckt hatte. Er passte nicht. Der zweite Schlüssel. Auch nicht richtig. Allmählich ging ihm die Luft aus. Der dritte. Ebenfalls nichts. Passte denn überhaupt keiner? Am Schlüsselbund befanden sich sechs Schlüssel. Was, wenn keiner von ihnen der Richtige war? Seine Lungen brannten, Sterne tanzten vor seinen Augen, seine Bewegungen wurden fahriger. Endlich! Der fünfte Schlüssel rastete ein, eine Umdrehung, und die Handfessel öffnete sich.  
    Er richtete sich auf und ließ Luft in seine ausgehungerten Lungen strömen. Streckte die zitternden Glieder. Spürte sein rasendes Herz schlagen und dankte Gott. Dann umklammerte er den Schlüsselbund und watete, unbeholfen wegen der Fußfesseln, an schwimmenden Kisten und Fässern vorbei durch das hüfthohe Wasser ins Freie.  
    Ihm bot sich ein Bild der Verwüstung. Wind zerrte an Büschen und Bäumen. Der Toongabbie Creek war zu einer schlammbraunen Flut geworden, die Sträucher, Erde und Steine mit sich riss. Die Hälfte der Sträflingshütten auf der anderen Flussseite stand unter Wasser, ebenso einige Häuser der Siedler. Sträflinge schwärmten durch den Ort; offenbar hatten sie die allgemeine Verwirrung genutzt, um sich gegen ihre Wärter aufzulehnen.  
    Samuel war schnell befreit. Der Boden des zweiten Vorratsschuppens, in dem der Hüne untergebracht war, war aufgrund seiner höheren Lage nur mit einer Handbreit Wasser bedeckt.  
    Überall rannten Männer und Frauen umher, versuchten, ihr Hab und Gut zu retten, einige von ihnen schrien wie von Sinnen. Hinter einem der Häuser sah Duncan einen Mann liegen. War das der Aufseher, dem Ann die Schlüssel abgenommen hatte? Plötzlich raubte ihm die Sorge um Moira den Atem.  
    Durch den Regen klang das helle Geräusch von Metall auf Metall. Bei der Schmiedestelle scharte sich eine Ansammlung von Sträflingen um den Amboss. Niemand hinderte sie daran, kein Aufseher war zu sehen. Auch Samuel hatte es bemerkt.  
    Er lachte mit seinem tiefen Bass. »Endlich werde ich diese verdammten Fußfesseln los! Komm, alter Freund, auf zur Freiheit!«  
    Und schon stapfte er durch das hier nur knöcheltiefe Wasser davon.  
    »Ich komme nach«, rief Duncan ihm hinterher. Die Fesseln konnten warten. Moira! Wo war sie?  
    Die kleine Brücke über den Fluss war gerade hoch genug, um nicht überflutet zu sein; das Wasser rauschte nur wenige Zoll darunter hinweg. So schnell es die schweren Ketten um seine Füße erlaubten, humpelte Duncan zu den Häusern der Siedler. Dort schwappte das Wasser nur einen Fuß tief, ein paar Holzschüsseln und Schachteln trieben darauf herum. Ob er dem Doktor begegnen würde? Und wenn schon. In diesem Chaos würde McIntyre ihm kaum die Aufseher auf den Hals hetzen.  
    Vor dem Haus des Doktors stand

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