Das Lied der roten Erde (German Edition)
schrecklich laut sein konnten.
Sie hielt den Atem an. Auch die beiden Männer neben ihr verhielten sich still. Der Körper des Dingos an ihrer Seite vibrierte, seine Nackenhaare sträubten sich. Ein leises Knurren entwich seiner Kehle, er hatte drohend die Lefzen hochgezogen. Der hinterste ihrer Verfolger blieb stehen. Erneut knurrte der Dingo. Ningali spürte ihr Herz schlagen und legte dem Tier vorsichtig die Hand auf den Nacken. Dan-Kin hatte den Kopf gehoben, seine Miene war angespannt. Der Verfolger stand unschlüssig, lauschte in den atmenden, lebendigen Wald. Dann hob er die Schultern und rannte den Vorauseilenden hinterher. Ningali atmete lautlos auf.
Als die Gefahr vorüber war, drehte sie sich zu Dan-Kin und lächelte ihn an. Seine Miene entspannte sich, dann richtete er sich auf und sagte etwas zu ihr, das sie nicht verstand. Nur den Namen, den Mo-Ra ihr gegeben hatte, erkannte sie. July.
Sie sah ihn ernst an. »Nin-ga-li«, sagte sie langsam. Sie streckte die Hand aus und legte sie ihm auf die Brust. »Dan-Kin.« Für einen Moment konnte sie Erstaunen in seinen Zügen aufblitzen sehen. Glaubte er denn, sie wisse noch immer nicht, wie er hieß? Dann tippte sie sich mit der Hand auf ihre eigene Brust. »Ningali.«
Er hatte verstanden. »Ningali.« Er zeigte auf den Riesen. »Samuel.«
Dieser Sa-Mu mit den Haaren in der Farbe von frischem Blut war Ningali nicht ganz geheuer. So groß und stark, wie er war, erinnerte er sie an ein Tier. Sie würde darauf achten, ihm nicht zu nahe zu kommen. Aber er war ein Freund von Dan-Kin, also war es gut.
Sie deutete nach vorne, in den dichten Wald, und richtete ihren Blick auf Dan-Kin. »Komm«, forderte sie ihn auf. Genau wie vor so vielen Tagen, als sie schon einmal versucht hatte, ihn zu den Ihren zu bringen.
Er sah sie nachdenklich an, dann nickte er. Ningalis Herz jubelte. Diesmal würde er mit ihr gehen.
*
Die feuchte Schwüle hatte seine durchnässte Kleidung schon fast getrocknet. Jetzt knurrte sein Magen. Das war nach all der Aufregung dieses Tages ein Zeichen von solcher Normalität, dass Duncan grinsen musste. Überall im regenfeuchten Busch knackte, raschelte, lärmte es; fremde Geräusche einer fremden Welt. Über ihnen stieg laut kreischend ein Schwarm weißgefiederter Vögel auf. Es tropfte von den Sträuchern und den hohen Bäumen, von deren Stämmen die Rinde in langen Streifen hing, durch die schwere Luft wehte der Duft von feuchtem Gras, Erde und Eukalyptus. Inzwischen war es sicher später Nachmittag. Allerdings ließen die dichten Baumkronen kaum einen Blick zum Himmel zu.
Der Waldboden war weich und schwammig vom Regen. Duncan achtete darauf, wohin er trat, schließlich wollte er nicht noch einmal einem gefährlichen Tier begegnen. Er genoss das Gefühl, wieder normal laufen zu können und nicht mehr die schweren Ketten an den Füßen zu haben, die jeden Schritt zu einer Qual gemacht hatten.
Sie sprachen nicht. Samuel, der hinter ihm lief, war in sich gekehrt, als hinge er den Ereignissen der vergangenen Stunden nach. Und das Mädchen redete ohnehin fast nie. Sie verfolgte offenbar ein Ziel, auch wenn Duncan den Eindruck hatte, als würde sie weite Umwege laufen. Dennoch bezweifelte er nicht einen Moment, dass man ihr vertrauen konnte. Führte sie sie zu ihrem Stamm?
Ningali hieß sie also. Es fiel Duncan schwer, den Namen July aus seinem Kopf zu streichen, so sehr hatte er sich an den Namen gewöhnt, den Moira ihr gegeben hatte. Wie lautlos sie die Füße setzte, wie anmutig sie sich neben dem Dingo in dieser Wildnis bewegte. Die blonden Haare bildeten einen auffälligen Kontrast zu ihrer braunen Haut, ihr schmaler, nur mit einem Lendentuch bekleideter Körper schien wie selbstverständlich in diese Umgebung zu gehören. Kein Wunder, dass man sie kaum wahrnehmen konnte, wenn sie sich nicht bewegte. Sein Respekt vor den Fähigkeiten der Eingeborenen stieg, bei denen selbst ein Kind in der Lage war, einen Trupp Rotröcke zu überlisten.
Seine Gedanken gingen zurück zu Moira. Wahrscheinlich war sie noch in der Residenz des Gouverneurs und musste irgendeinem Verantwortlichen Rede und Antwort stehen. Aber sie war in Sicherheit. Die Erinnerung an ihre Umarmung, ihre jähe Freude bei ihrem Wiedersehen ließ eine warme Woge durch seine Adern schießen.
Wäre er den anderen auch nach Parramatta gefolgt, wenn es ihm nicht um Moira gegangen wäre? Hätte er diese Chance auf Freiheit wirklich verspielt
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