Das Lied der roten Erde (German Edition)
Kurpfuscherin schicken, die womöglich mehr Schaden anrichtete, als dass sie nutzte.
Sie erhob sich. »Komm«, sagte sie. »Ich denke, ich weiß, wie wir dieses Problem lösen können.«
*
Die Lichtstrahlen fielen gleißend hell ins Zimmer. Ann lag mit angezogenen Beinen auf dem Behandlungstisch, ihr abgetragenes braunes Kleid bis knapp über die Scham hinaufgeschoben, und schluchzte. Neben ihr stand Moira und hielt Anns Knie fest, um das Mädchen an heftigen Bewegungen zu hindern, und streichelte beruhigend mit den Daumen über ihre Haut. Ein schwacher Geruch nach Blut und weiblichen Körperflüssigkeiten lag in der Luft.
War es erst eine Stunde her, dass Moira McIntyre um Unterstützung in diesem delikaten Fall gebeten hatte? Im ersten Moment hatte sie geglaubt, er würde rundweg ablehnen, dem Mädchen zu helfen. Moira hatte ihn noch nie um etwas gebeten, und sie hatte sich so klein und hilflos gefühlt, dass sie am liebsten wieder umgekehrt wäre. Über so etwas Heikles wie die Vorgänge im Körper einer Frau hatte sie nicht einmal mit ihrer Mutter geredet. Aber sie hatte schließlich Ann beistehen müssen.
Ann wimmerte laut und versuchte, sich aufzurichten. Moira hatte ihr einen ganzen Becher Rum eingeflößt, von dem sie allerdings einen Großteil bereits wieder ausgespuckt hatte.
»Stillhalten!«, knurrte McIntyre. Er blickte kurz über seine Brillengläser hinweg auf und runzelte die Stirn, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. »Wir sind gleich fertig.«
Auch wenn Moira vermied hinzusehen, bekam sie doch genug mit von dem, was er da mit einer Zange und einem löffelartigen Instrument in Anns Unterleib tat. Sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund und schluckte krampfhaft. Dennoch konnte sie nicht umhin, die ruhige Arbeit von McIntyres Händen und sein offensichtliches Wissen anzuerkennen.
Ann schrie ein weiteres Mal schrill auf, dann zog McIntyre seine Instrumente zurück.
»So.« Er richtete sich auf. »Das wäre alles. Mehr kann ich nicht tun.«
Er war gerade dabei, seine Gerätschaften zum Säubern wegzulegen, als Ann schluchzend vom Tisch rutschte und vor ihm auf den Boden sank.
»O Sir, ich … ich danke Euch! Das werde ich Euch niemals vergessen!« Sie krümmte sich wimmernd zusammen, dann umklammerte sie seine Beine und küsste ihm die Füße.
»Hoch mit dir, Mädchen, was fällt dir ein?« Für einen Moment wirkte er geradezu unsicher. Dann drehte er sich zu Moira um. »Bring sie zu Bett. Dort wird sie für die nächsten zwei Tage bleiben. Ich sehe später nach ihr. Und zu niemandem ein Wort!«
*
Ann ging es bald wieder besser. Nach den ersten Tagen, die sie im Bett verbracht hatte, floss sie über vor Dankbarkeit. Nur ihre Ängste waren unverändert. Sie fürchtete sich sogar vor July. Wenn das Mädchen wie fast jeden Morgen in der Nähe des Hauses auftauchte, verschwand Ann schnell in der Küche und zeigte sich nicht mehr.
Moira hatte sich angewöhnt, nach dem Frühstück, wenn McIntyre in seinem Studierzimmer verschwunden war, hinauszugehen zu dem fremdartigen Kind. Manchmal steckte sie der Kleinen ein Stück Brot zu, und einmal hatte sie July ein altes Tuch gegeben und ihr bedeutet, es um die Hüften zu schlingen. Am nächsten Tag hatte das Kind das Tuch getragen wie eine Auszeichnung, was Moira mit Freude und einem gewissen Stolz erfüllte. July revanchierte sich mit kleinen Geschenken wie Wurzeln oder einer Handvoll Beeren, die Ann zu Kompott oder Brei verarbeitete. Inzwischen vermutete Moira, dass das Mädchen stumm war, denn es sprach nie. Und stets war sie verschwunden, sobald die Gefangenen zur Arbeit aufbrachen.
Nach der Aufregung um Ann war wieder Alltag eingekehrt, öder, schrecklich langweiliger Alltag, der nur dann unterbrochen wurde, wenn jemand zu Besuch kam oder McIntyre einen Patienten zu behandeln hatte. Meist waren es Sträflinge, und stets handelte es sich um die gleichen Vorkommnisse: Hitzschlag aufgrund der glühenden Sonne, in der sie arbeiten mussten; Schlangenbisse, die manchmal tödlich waren; Verletzungen während der Arbeit – und die Versorgung frischer Peitschenspuren.
Es war Nachmittag, die heißeste Zeit des Tages in diesem Spätsommer. Der März hatte noch nicht die ersehnte Abkühlung gebracht, die Veranda lag in der glühenden Sonne – es war viel zu heiß, um sich dort aufzuhalten. Moira saß mit Ann in der Wohnstube und sehnte sich nach der leichten Meeresbrise, die in Sydney
Weitere Kostenlose Bücher