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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Veranda, lugte an der ein wenig zur Seite geschobenen Gardine vorbei nach draußen – und zuckte zusammen, als der Aufseher O’Sullivan einen Hieb mit dem Schlagstock verpasste, der diesen mit einem dumpfen Laut in die Knie gehen ließ.  
    »Wage es nicht noch einmal, mir zu widersprechen!«, blaffte Wilkins und öffnete die eiserne Handfessel des Sträflings. Er legte O’Sullivans Hände um einen der hölzernen Pfeiler der Veranda und schloss die Fessel. Dann ging er zurück ins Haus.  
    Moira trat ihm im Flur entgegen. »Wollt Ihr den Mann wirklich da angekettet lassen?«  
    Der Aufseher deutete ihren besorgten Blick falsch. »Keine Angst, Madam, er kann Euch nichts tun. Ich würde mich ja gerne selbst für Euren Schutz verbürgen, aber der Doktor braucht mich.«  
    Damit verschwand er im Behandlungszimmer.  
    Moira sah erneut nach draußen. Die Hitze war fast greifbar und ließ die Luft flimmern. O’Sullivan saß auf der obersten Treppenstufe, die gefesselten Hände um den Pfosten gelegt. Angekettet wie ein Tier. Es gab keinen Schatten dort, nicht der kleinste Hauch bewegte seine dunkelbraunen Haare, die ihm verschwitzt ins Gesicht hingen. Dreck und Schweiß bildeten einen schmutzigen Saum um seinen Hemdkragen.  
    »Ann? Ann, wo bist du?« Sie fand sie in der Küche. »Ann, füll ein Glas mit Wasser und gib es dem Mann dort draußen.«  
    Ann sah sie an, ihre Augen wirkten riesengroß in ihrem blassen Gesicht. »Oh, Ma’am, bitte, das … das kann ich nicht!«  
    Moira seufzte auf. Sie ließ dem Mädchen zu viel durchgehen. Aber bevor sie Ann erst mühsam davon zu überzeugen suchte, dass ihr von einem gefesselten Sträfling keine Gefahr drohte, hatte sie es selbst zehnmal schneller erledigt. Und so füllte sie einen Becher mit kühlem Wasser aus einem Krug.  
    Als sie auf die Veranda trat, hob der Sträfling den Kopf und machte Anstalten aufzustehen, wurde jedoch sofort von seinen Fesseln gebremst.  
    »Bleibt sitzen«, sagte Moira, unerwartet befangen. Sie beugte sich hinunter und reichte ihm den Becher. »Hier. Etwas zu trinken.«  
    Die Glieder der kurzen Kette klirrten, als er mit der rechten Schulter näher an den Pfeiler rückte und den Ellbogen darum legte, um den Becher in Empfang zu nehmen.  
    »Danke, Miss.« Er schien verwundert über ihre Fürsorge.  
    »Mrs«, berichtigte Moira. »Mrs McIntyre. Der … der Doktor ist mein Ehemann.«  
    Wieso hatte sie das Bedürfnis, diesen Sachverhalt zu erklären? Und was war es, das da in diesen dunkelgrünen Augen aufblitzte? Erstaunen? Bedauern?  
    Er neigte den Kopf und senkte seinen Blick wieder. »Ihr seid sehr freundlich, Mrs McIntyre.« Seinem Tonfall nach kam er aus der Gegend von Waterford.  
    »Ich tue nur meine Christenpflicht.«  
    Aus dem geöffneten Fenster des Behandlungszimmers hörte sie den verletzten Sträfling schmerzerfüllt aufschreien. Moira blickte nicht einmal auf. Inzwischen hatte sie sich an diese Geräusche, die mit der Arbeit eines Arztes einhergingen, gewöhnt. Sie trat einen Schritt zurück und sah zu, wie O’Sullivan trank, beide Hände mit den gefesselten Handgelenken um den Becher gelegt – gierig wie jemand, der lange nichts mehr bekommen hatte. Als er fertig war, nahm sie den Becher wieder in Empfang.  
    Wahrscheinlich lag es an der Hitze, dass ihr die ganze Situation so unwirklich erschien, aber sie hatte das Gefühl, als würde sein Blick sich direkt in ihr Inneres brennen. Wie loderndes Feuer. Dunkelgrünes Feuer. Ein eigenartiges Ziehen breitete sich in ihrem Unterleib aus, ganz und gar nicht unangenehm. Schweiß sammelte sich auf ihrer Oberlippe, sie schmeckte Salz, als sie darüberleckte. Ihr Herz schien plötzlich langsamer, aber umso kräftiger zu schlagen, sie konnte den Puls in ihren Fingerspitzen spüren.  
    Der Becher war leer, es gab keinen Grund, sich noch länger hier aufzuhalten. Dennoch zögerte sie. Sie hätte gern mit dem Gefangenen geredet, ihn gefragt, ob er eine Familie hatte, die zu Hause auf ihn wartete, ob –  
    »Ma’am?« Ann erschien in der Tür und warf dem Sträfling einen angstvollen Blick zu. »Ich bin fertig mit der Wäsche. Soll ich jetzt den Boden wischen?«  
    »Was? Nein, Ann, das kann warten.« Moira kam sich vor, als habe Ann sie bei etwas Verbotenem ertappt. Hocherhobenen Hauptes wandte sie sich um und ging mit dem Mädchen zurück ins Haus, während sie der Versuchung widerstand, sich noch einmal umzudrehen. Sie wusste, dass er ihr nachsah.  
    *

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