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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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saß wie ein nasser Sack auf dem Pferd, das man ihm gegeben hatte, und trug einen grimmig-entschlossenen Ausdruck zur Schau. Wieso kam er überhaupt mit? Dann verstand sie. Niemand durfte sich ungestraft an McIntyres Besitz vergreifen. Und zu seinem Besitz zählte schließlich auch sie.  
    Niemand außer Moira, die darauf bestanden hatte mitzukommen, und McIntyre hatte es wirklich eilig. Auch William schien diesen Vorfall lediglich als willkommene Unterbrechung seines eintönigen Tagesablaufs zu sehen, schließlich ging es für ihn nur um eine Prügelei zwischen einem Häftling und einem Aufseher. Von dem, was außerdem vorgefallen war, wussten bisher nur McIntyre und Ann.  
    Sie war sich im Klaren darüber, was O’Sullivan erwartete, falls er den Aufseher getötet hätte. Dann würde sie noch so oft erklären können, was geschehen war – man würde ihn trotzdem hinrichten. Und wenn der Aufseher umgekehrt O’Sullivan – nein, darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.  
    Als sie am Wasserfass eintrafen, rann ein Schauer der Erleichterung durch ihren Körper: Beide Kontrahenten lebten. Eine kleine Schar von Aufsehern und Soldaten war bereits zur Stelle, offenbar war der ungleiche Kampf auch von anderen bemerkt worden. O’Sullivan hatte man in schwere Ketten gelegt und an einen Baum gefesselt, aus einer Platzwunde über seinem rechten Auge lief Blut. Als er Moira sah, straffte sich sein zusammengesunkener Körper. Oberaufseher Holligan stand ein paar Schritte entfernt und sah reichlich verbeult aus. Bei Moiras Anblick trat er unruhig von einem Bein auf das andere.  
    »Was ist hier los?«, verlangte der Lagerverwalter zu wissen.  
    »Sergeant«, sagte einer der Soldaten, »dieser Sträfling hier hat Oberaufseher Holligan angegriffen.«  
    »Der Mistkerl wollte mich umbringen!«, fiel Holligan ihm ins Wort.  
    »Das ist nicht wahr!«, stieß Moira hervor. Sie wollte noch mehr sagen, aber dann fing sie O’Sullivans Blick auf und verstummte. Er schüttelte leicht den Kopf und machte dann eine winzige Bewegung hin zu McIntyre.  
    »Aber wir haben alles unter Kontrolle«, fuhr der Soldat fort. »Der Übeltäter wird seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Wir werden ihn morgen nach Parramatta bringen, um ein Urteil fällen zu lassen. Solange wird er in Gewahrsam gehalten.«  
    In Moira schrie alles danach vorzutreten, mit dem Finger auf Holligan zu weisen und ihn anzuklagen. Doch O’Sullivan hatte recht; sie war hier die einzige Frau unter mehreren Dutzend Männern. Sie konnte nicht davon ausgehen, dass man ihr glaubte. Und selbst wenn – was würde man erst danach von ihr denken? Ihr Daumen fuhr wie von selbst zum Mund, nervös knabberte sie an ihrem Nagel herum.  
    O’Sullivan versuchte, sich in seinen Fesseln aufzurichten und wandte sich an den Doktor. »Dr. McIntyre, ich muss –«  
    Der andere Aufseher, Wilkins, schlug ihn mit seinem Schlagstock. »Halt dein Maul! Du hast hier nichts zu sagen!«  
    Moira war bei dem Schlag zusammengezuckt, als hätte er sie selbst getroffen. Entschlossen drehte sie sich zu McIntyre um. »Sprecht mit ihm, bitte. Er kennt die Wahrheit.«  
    »Das hatte ich auch vor. Sir?« Er trat zu William. »Kann ich einen Augenblick allein mit dem Gefangenen reden?«  
    Der Lagerverwalter schien erleichtert, dass ihm jemand die Verantwortung abnahm. Er wies die Soldaten an, sich etwas von dem Baum, an den O’Sullivan gekettet war, zurückzuziehen.  
    McIntyre beugte sich zu dem Sträfling hinab, sie redeten eine Weile im Flüsterton. Dann richtete er sich wieder auf und trat neben Lagerverwalter Penrith. »Der Mann hat aus gutem Grund gehandelt. Meine Frau kann das bestätigen«, hörte Moira ihn mit gedämpfter Stimme sagen. »Dennoch möchte ich vorschlagen, diese Angelegenheit etwas weniger öffentlich zu regeln.« Wieder wurde er so leise, dass sie seine Worte nicht verstehen konnte. Moira konnte lediglich die Bestürzung in Williams Gesicht sehen. Dann nickte er mehrmals und zog seine Uniformjacke stramm.  
    »Abführen. Den Sträfling – und Oberaufseher Holligan.« Holligan setzte zum Protest an, wurde aber ebenfalls gefesselt. »Diese Sache erfordert weitere Klärung.«  
    An diesem Abend kam McIntyre erst spät von einer Unterredung mit dem Lagerverwalter zurück. Oberaufseher Holligan würde in den nächsten Tagen vor den Friedensrichter nach Parramatta gebracht werden. Wahrscheinlich würde Moira dort als Zeugin aussagen müssen, eine Aussicht, die

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