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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Glas und eine Flasche Rum, daneben lagen zwei Rohre, fast so dick wie ein Finger und von unterschiedlicher Länge. Für einen Moment vergaß Moira ihre Sorge und nahm das längere Rohr in die Hand. Hatte Duncan das hier hergestellt? Und wozu diente es?  
    Wenn McIntyre schon so ungewöhnlich nachlässig mit seinen Sachen war, vielleicht konnte sie dann einen Blick … Sie ging zum Studierzimmer und drückte probeweise die Klinke hinunter. Die Tür öffnete sich.  
    Sie war nur ein einziges Mal, am Tag ihrer Ankunft, hier drinnen gewesen. Neben dem Schreibtisch stand McIntyres Kiste. Das Schloss war offen.  
    Moira schnappte nach Luft. Sollte es tatsächlich möglich sein, endlich einmal einen Blick in die geheime Kiste zu werfen, die McIntyre bislang gehütet hatte wie seinen Augapfel? Sie lehnte die Tür an, kniete sich vor die Kiste und klappte den Deckel auf.  
    Papiere, Zeichnungen, medizinische Zeitschriften. Sie nahm einen Stapel Papiere in die Hand und blätterte sie durch. Blätter voller engbeschriebener Zeilen, dazwischen Skizzen. McIntyre war kein unbegabter Zeichner. Andeutungsweise war der Umriss eines Menschen abgebildet, mal in der Quersicht, mal von vorne. Und war das das Innere eines Organs? Sie sah Skizzen von dünnen Rohren in unterschiedlicher Länge und Ausführung, von Spiegeln, gläsernen Linsen in verschiedenen Formen und Größen, Kerzen in metallenen Umhüllungen. Die Zeichnung einer camera obscura mit Unmengen von gekritzelten Berechnungen. Wozu sollte das gut sein? Kurz horchte sie auf. Nein, niemand kam. Dann legte sie die Papiere beiseite und wühlte tiefer in der Kiste. Das Jagdfieber hatte sie gepackt.  
    Da – unter einem Stapel Zeitschriften lag etwas verborgen, ein Brief. Sie zog ihn hervor. »Für Alistair«, stand in einer geschwungenen, leicht zittrigen Frauenhandschrift darauf. Er duftete ganz schwach nach Rosen. Hatte Victoria, McIntyres erste Frau, ihn geschrieben? Vor Aufregung schlug ihr Herz schneller, und für einen kurzen Moment überkamen sie Gewissensbisse. Durfte sie so einfach in den Sachen ihres Mannes wühlen, Victorias Briefe lesen? Dann schüttelte sie den Kopf. Die Neugierde war stärker. Eine solche Gelegenheit würde sich wahrscheinlich nie wieder ergeben.  
    Das Siegel war erbrochen; hastig entfaltete sie den Brief. Es waren nur wenige Zeilen.  
    »Verehrter Alistair«, entzifferte sie. »Wieso nur? Was du getan hast, hat mir das Herz gebrochen. So kann ich nicht mehr weiterleben. Aus dieser Schande kann mich nur –«  
    »Was fällt dir ein? Leg das sofort wieder hin!« McIntyre stand in der Tür, seine Stimme drohte überzukippen. Mit wenigen Schritten war er bei ihr und zerrte den Brief aus ihrer Hand. Er zerriss mit einem hässlichen Laut. »Wie kannst du es wagen? Das ist …«  
    »Victorias Abschiedsbrief.« Moira erhob sich. Ihr Herz hämmerte, aber weniger aus Furcht als vor Schreck über sein plötzliches Erscheinen. Sie hatte keine Angst mehr vor ihm, wurde ihr in diesem Moment bewusst. Anklagend hielt sie ihm die abgerissene Hälfte des Briefes entgegen. »Was habt Ihr getan? Was habt Ihr so Furchtbares getan, dass sie sich das Leben genommen hat?«  
    McIntyres Gesicht verzog sich zu einer Grimasse aus Trauer und Wut. Sie sah seinen Schlag kommen, trotzdem war der Schmerz ein Schock.  
    »Habt Ihr sie auch geschlagen?«, flüsterte sie, die Hand an der brennenden Wange. »Hat Victoria sich deshalb umgebracht?«  
    »Ich habe sie nie geschlagen!«, keuchte McIntyre. »Ich habe sie geliebt!«  
    Moira lachte auf. »Ihr könnt doch überhaupt nicht lieben!«, warf sie ihm entgegen, ließ den Papierfetzen fallen und stürmte aus dem Zimmer.  

12.  
     
    Duncan griff nach dem Becher mit Wasser und trank in kleinen Schlucken. Das half am besten gegen den krampfhaften Husten, der ihn jedes Mal im Anschluss an McIntyres Versuche überfiel.  
    »Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe«, hatte Jesus einst seine Jünger gewarnt. Diese Stelle hatte Duncan gestern in Moiras Bibel aufgeschlagen, die sie bisweilen für ihn in der Küche liegen ließ – den einzigen Ort im Haus, zu dem er freien Zutritt hatte. Es half, sich diese Worte immer wieder vorzuhalten. Duncan hatte gehofft, sich irgendwann an den Würgereiz und das scheußliche Gefühl des Rohrs in seiner Kehle zu gewöhnen. Aber nach wie vor forderte es seine ganze Selbstbeherrschung. Er nahm es hin als Teil seiner Buße. Und als Schritt näher zur Freiheit.  
    Er ließ den

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