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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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auf, die Augen weit vor Überraschung.  
    »July?« So nannte Mo-Ra sie. Es war ein guter Name, auch wenn es nicht ihr eigener war.  
    Als sie Worte formte, reagierte er mit weniger Verblüffung, als sie erwartet hatte. Sie sprach nur selten. Sprechen war lästig. Aber diesmal war es notwendig.  
    »Komm mit«, sagte sie in der Sprache der Eora und winkte auffordernd. Mit Gesten und Worten versuchte sie ihm zu erklären, dass sie ihn zu den Ihren bringen wollte. Dort würden sie Mo-Ra helfen. Die Großmutter. Der Vater. Die anderen Mütter und Väter.  
    Er schien begriffen zu haben, denn er erhob sich, so langsam, als drücke ihn eine schwere Last nieder. Ningali blickte ihm nach. Er ging zu dem großen braunen Tier mit den dünnen Beinen, dem Pferd, und blieb dort stehen, den Kopf mit geschlossenen Augen gegen den Hals des Tieres gelehnt, mit einem Ausdruck, den Ningali nur schwer deuten konnte. In seinen fremdartigen Zügen konnte sie nicht so gut lesen wie in denen ihres Volkes. Regen lief ihm über das Gesicht. Dann straffte er sich, band das Tier los und führte es zu Mo-Ra.  
    So nah war Ningali einem Pferd noch nie gewesen. Das Tier war groß, aber es schien friedlich zu sein. Ningali streckte ihm vorsichtig die Hand hin und ließ es daran schnüffeln. Es hatte dunkle Augen wie ein Känguru, lange Wimpern und weiche Lippen. Kurz stampfte es mit einem Bein, dann hielt es still, als Dan-Kin versuchte, Mo-Ra so auf den Rücken des Tieres zu legen, dass sie nicht herunterrutschte. Es gelang ihm erst, als Ningali ihm dabei half. Mit Schnüren aus Gras und Fasern, von denen Ningali stets ein paar bei sich trug, banden sie Mo-Ra auf dem Tier fest. Als sie fertig waren, nickte sie und bedeutete Dan-Kin, ihr mit dem Pferd und Mo-Ra zu folgen, dann wandte sie sich dem Wald zu.  
    Sie blickte sich erst um, als sie seine Schritte nicht hinter sich hörte – und sah fassungslos, dass er in die entgegengesetzte Richtung ging, dem Fluss zu. Nein! Was tat er da?  
    Zum ersten Mal durchströmte sie Verzweiflung. Hatte er sie denn nicht verstanden? Sie lief ihm hinterher, zog an seinem Hemd, um ihn zum Anhalten aufzufordern, und deutete in Richtung Wald.  
    »Nein!«, stieß sie eines der wenigen Worte aus, die sie von der Sprache der Weißen kannte. Es schmeckte fremd in ihrem Mund. Und es hatte nicht die geringste Wirkung. Er machte sich von ihr los und schüttelte den Kopf. Dann sagte er etwas, von dessen Inhalt Ningali kaum etwas begriff. Nur so viel verstand sie: Er würde nicht mit ihr kommen.  
    *  
    Moira war nicht bei Bewusstsein, ihr schmales Gesicht weiß wie ein Bettlaken. War das, was hier passierte, die Strafe für ihrer beider Sünden? Immer wieder hielt Duncan an, vergewisserte sich, dass sie noch atmete. Schlaff hing sie über dem Pferderücken, und nur die Pflanzenschnüre verhinderten, dass sie herunterrutschte. Er hatte ihre Beine fest zusammengebunden, doch noch immer verlor sie tröpfchenweise Blut. Sicher war diese Position sehr unbequem für sie. Aber es gab keine andere Möglichkeit, schließlich konnte er sie in ihrem Zustand nicht rittlings auf das Pferd setzen.  
    Er hatte keine Wahl. Er musste sie so schnell wie möglich zurück nach Toongabbie bringen. Zu McIntyre. Der Doktor würde ihr helfen können. Was immer ihn, Duncan, anschließend erwartete, er würde es willig auf sich nehmen. Wenn nur Moira gerettet würde.  
    Als er an einem der vielen kleinen Bachläufe kurz Rast machte, um das Pferd trinken zu lassen, bewegte sich Moira schwach, stöhnte und versuchte, den Kopf zu heben. Sofort war er bei ihr. Er wagte nicht, sie vom Pferd zu nehmen. Mit beiden Händen schöpfte er Wasser und benetzte ihre Lippen, bis er merkte, dass sie zu schlucken begann.  
    »Hast du Schmerzen?«, fragte er leise, ohne auf Antwort zu hoffen. »Wir sind bald da.«  
    »Wo …?«, murmelte sie mit schwerer Zunge.  
    Duncan strich ihr das Haar, das ihr schwarz und verfilzt in die Augen hing, aus dem Gesicht. »Alles wird gut. Ich bringe dich zurück nach Toongabbie.«  
    »Nein«, stöhnte sie. »Nein!« Im nächsten Moment sank sie zurück in die Bewusstlosigkeit.  
    Er musste sich beeilen. Kurz überlegte er, ob er sich hinter sie auf das Pferd schwingen sollte, und genauso schnell verwarf er diese Überlegung wieder. Das Pferd war ein Kutschtier und einen Reiter nicht gewohnt; das zusätzliche Gewicht würde es nur schneller ermüden. Besser, wenn er es führte.  
    So allein und mutlos hatte

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