Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
zu. »Der beste Arzt der Welt, das ist unser Simon Pearce«, erklärte sie begeistert, während sie ihm die Hand tätschelte. »Wunnerbare chirurgische Fähigkeiten, wunnerbare Hände. Und ein guter Verwalter. Das Krankenhaus hat Glück, ihn bekommen zu haben«, verkündete sie allen in Hörweite. »Er ist ein absolut fabelhafter Arzt.«
Das war wohl etwas zu viel der Heldenverehrung. Jessica richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, wobei sie Simon ansah. Seine Wangen waren vor Verlegenheit gerötet. Er hatte nichts gegen Komplimente, er liebte sie sogar, aber man konnte es wirklich übertreiben. Wusste die dumme Frau das denn nicht? Wahrscheinlich war sie zu betrunken, um es zu merken.
»Ich bin Jessica Pearce.« Sie streckte Sue die Hand hin.
»Ahhh, Simons kleines Frauchen!«
Irgendetwas in ihren Augen warnte Jessica, dass die Frau nicht ganz so betrunken war, wie sie tat. Sie war allerdings ziemlich überzeugend, auch wenn sie keinen Grund dafür erkennen konnte. Schwarze, durchdringende und intelligente Augen blickten sie so intensiv an, dass sie sich unbehaglich zu fühlen begann.
Sue hielt Jessicas Hand fest. »Nett, Sie endlich kennen zu lernen, Jessica Pearce. Simon hat mir viel von Ihnen erzählt.«
»Tatsächlich?« Jessicas Augenbraue schoss in die Höhe. Die Worte klangen zwar harmlos, doch die Art, wie Sue sie ansah, hatte etwas merkwürdig Beunruhigendes. War es Feindseligkeit, wollte sie eine Reaktion provozieren? Sie hatte keine Ahnung … Jessica musste über ihren eigenen Gedankengang lachen. Ihre Fantasie schien Überstunden zu machen und sorgte dafür, dass der durchdringende Blick der Oberschwester sie aus der Bahn warf. Wozu sollte Sue das wollen? Keiner ihrer Gedanken machten einen Sinn, besonders nicht ihre Reaktion auf die Frau. Ganz plötzlich war sie abweisend und defensiv geworden, ohne dass sie einen guten Grund dafür hätte nennen können.
»Ja, Jessica, ich weiß Bescheid über Sie und Ihre Probleme«, sagte Sue so leise, dass es niemand anderes hören konnte, und ließ ihren Blick über Jessicas Figur wandern. »Und ich muss sagen, für eine Verrückte sehen Sie ziemlich gut aus, meine Liebe.«
5
essica verschluckte sich an einem Stück Brot. Ihre Augen tränten, und sie schnappte nach Luft, als sie der Schreck über die mangelnde Sensibilität der Frau wie eine Riesenwelle überfiel. Aus ihrem Gesicht wich alle Farbe, und sie begann zu zittern.Was war Oberschwester Levinski nur für eine Frau, dass sie in aller Öffentlichkeit solche Dinge zu ihr sagte?
»Sue!«, sagte Simon in scharfem Ton, und ein an ge spannter Zug um den Mund verriet seinen Ärger. Schützend legte er den Arm um Jessica und zog sie an sich.
»Was ist?« Dunkle Augen sahen ihn gespielt überrascht an. Sue blickte von Simon zu Jessica und fragte: »Aber Sie waren doch eine Weile verrückt, oder?«
»Halt den Mund!«, zischte Simon.
»Hat Simon das erzählt?«, wollte Jessica wissen. Sie presste die Lippen aufeinander, um den Wunsch zu unterdrücken, der Frau zu sagen, wohin sie sich scheren sollte, während Sue vielsagend mit den Schultern zuckte. Wollte sie absichtlich eine Art Szene provozieren? Wollte sie das zunichte machen, was dieser Abend ihr an Gutem gebracht hatte? Mit einem Seitenblick auf Simon stellte sie sich die noch viel wichtigere Frage, was und wie viel genau er der Oberschwester des Krankenhauses erzählt hatte. Sie musste die aufsteigende Feuchtigkeit in ihren Augen zurückdrängen, als sie der Gedanke quälte, dass ihr Ehemann dieser aufdringlichen, neugierigen Frau gegenüber eventuell ihr Vertrauen missbraucht hatte.
»Sue, ich habe Ihnen streng vertraulich von meiner Frau erzählt. Sie werden Sie jetzt nicht aufregen, indem Sie sie an die Vergangenheit erinnern. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« In Simons Stimme schwang Enttäuschung mit. Was war mit der Frau los? Er arbeitete zwar erst seit etwas mehr als einer Woche mit ihr zusammen, aber er hätte schwören können, dass sie nicht so einen Unsinn reden würde. Ihr Atem roch nach Alkohol, und so kam er zu dem Schluss, dass sie offensichtlich nichts Hochprozentiges vertrug. Ein Blick in Jessicas Augen zeigte ihm, wie tief sie verletzt war; und er sah noch etwas, was seinen Ärger auf Sue Levinski noch anwachsen ließ. »Es tut mir leid, Jess, ich hätte nie gedacht, dass sie …« Er brach ab, da ihm bewusst wurde, wie unbeholfen seine Worte klingen mussten, und, schlimmer noch, weil er den Verdacht in
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