Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
Jessicas Blick sah.
Aufstöhnend rekapitulierte er den Abend. Bis jetzt war alles so gut gelaufen … Er hatte bemerkt, dass Jessica aus ihrem Schneckenhaus herauskam und sich endlich wieder für etwas anderes als ihr eigenes Leid interessierte. Sie hatte sich Nan Duncan und Marcus sofort verbunden gefühlt. Wieder zuckten seine Kiefermuskeln, als er Sue anstarrte. Mit größtem Vergnügen hätte er ihr den Hals umgedreht, obwohl er nicht nur als Arzt genau wusste, dass es wenig Sinn hatte, ihr die Leviten zu lesen, wenn sie derart durch den Wind war. Aber morgen würde sie etwas zu hören bekommen. Darauf konnte sie sich verlassen!
»Huch!« Sue schlug sich mit der Hand vor den Mund und sah Simon an. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
Irgendwo in ihrem Inneren fand Jessica, bekannt für ihre schnellen Überlegungen vor Gericht, die Geistesgegenwart, sarkastisch zu antworten: »Nein, Sie haben uns nur die Mühe erspart, eine Anzeige in den Norfolk Islander zu set zen, um allen von meinem Nervenzusammenbruch zu berichten, und den Fortschritten, die ich mache. Die Nachricht wird sich nun zweifellos wie ein Buschfeuer unter den Inselbewohnern verbreiten. Also vielen Dank, dass sie uns die Ausgaben für die Anzeige erspart haben.« Sie konnte das Zittern kaum noch unterdrücken und wandte sich ab. Sie nahm Simons halb abgegessenen Teller und ging durch die Hintertür in die Küche, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diese Frau zu bringen.
Auf der anderen Seite der Holzveranda hatte Marcus, der gerade in ein Gespräch mit Sam Oliver vom Tourismusbüro der Insel ins Gespräch vertieft gewesen war, die Szene zwischen den Pearces und Sue Levinski beobachtet. Auch wenn er nicht verstehen konnte, was gesprochen wurde, sagten ihm Simons wütender Gesichtsausdruck und Jessicas Körpersprache – sie wurde so steif wie ein Brett – nur allzu deutlich, dass Sue die Grenzen der Höflichkeit wohl überschritten hatte. Unmerklich nickte er verständnisvoll. Die Oberschwester war dafür bekannt, Szenen zu machen, wenn sie zu viel getrunken hatte. Dafür war sie auf der Insel berüchtigt, aber es war ihr einziger wirklicher Fehler. Zumindest der einzige, der ihm aufgefallen war, seit er sie kannte. Alkohol schien ihr die Zunge zu lösen und ihre Hemmungen fortzuspülen. Sie plauderte einfach alles heraus, egal, wen sie dabei gerade beleidigte.
Er veränderte seine Position, sodass er Jessica durch das Küchenfenster beobachten konnte. Sie sprach mit Nan und Derec Owens, dem der Getränkeladen in der Taylor Road gehörte. Als Analytiker fiel ihm auf, dass Jessica Schwierigkeiten hatte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Sie wirkte jetzt angespannt, schloss und öffnete die Fäuste, als ob sie sich über etwas aufregte. Wieder kam ihm der Gedanke, dass Jessica Pearce ein interessantes Thema war.
Erst als alle Gäste gegangen waren und er mit Nan noch aufräumte, erfuhr Marcus, mit welchen Worten Sue für Aufregung gesorgt hatte.
»Diese Levinski! Wenn sie nicht so eine gute Krankenschwester wäre, ich schwöre dir, ich würde mich beim Krankenhaus über sie beschweren«, grollte Nan, während sie die Spüle auswischte. »Du weißt doch, wie schrill ihre Stimme sein kann, wenn sie will. Nun, sie hat jeden wissen lassen, dass Jessica krank gewesen ist, sie hat sie als Verrückte bezeichnet. Kannst du dir das vorstellen? Du kannst dir ja denken, dass Julie Withingon diese erfreuliche Neuigkeit mit dem größten Vergnügen morgen im Supermarkt und in der Kirche verbreiten wird. Ich kann es schon richtig hören: ›Wisst ihr schon, dass die Frau des neuen Krankenhausleiters ein Fall für die Psychiatrie ist?‹ Oh, Julie wird morgen ihren großen Tag haben.«
Trotz seiner Entscheidung, sich nicht in den Inselklatsch einzumischen, war Marcus' Neugier geweckt. Es hatte seine Vorteile, immer nur für kurze Zeit nach Hause zu kommen: Der Klatsch und Tratsch und die Politik der Insel interessierten ihn nicht viel. »Verrückt? Was soll das heißen?«
Nan legte das Abtrockentuch weg und löste die Schürze von ihrer schmalen Taille. Kurz ging sie zur alten Norfolker Sprache über und sagte: » Haet sohri faret, claa pua gehl uni jes lors de beibi . Es ist eine Schande. Jessica hat nicht viel gesagt, aber ich habe gesehen, wie sehr es sie aufgeregt hat. Das ist ja nur zu natürlich. Das Trauma hat sie sehr krank gemacht. Simon hat sie gerade deswegen hergebracht, damit sie von den Erinnerungen loskommt.«
Markus
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