Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
du brauchst auch mal wieder eine Nacht Schlaf«, meinte Simon. »Versuch es doch einfach eine Woche mit den Tabletten und sieh, ob es hilft.«
Widerwillig gab Jessica nach. Es hörte sich vernünftig an. »Na gut. Aber nur für eine Woche.«
Auf einem Hocker sitzend sah Jessica beeindruckt zu, wie Nan Duncan dem Ton mit der Leichtigkeit jahrelanger Übung die Form einer Vase gab.
Sie hatten einen wundervollen Vormittag zusammen verbracht. Seit dem frühen Morgen hatte Nan Jessica mehrere Stunden lang Grundkenntnisse in der Töpferei vermittelt und sie sogar mit der Drehscheibe experimentieren lassen.
Als sich nun die Scheibe zu drehen begann, tauchte Jessica die Finger in eine Schale mit Wasser, die neben dem Hocker stand. Man musste einen bestimmten Grad an Feuchtigkeit erhalten, sonst ließ sich der feuchte Ton, der durch die Drehbewegung noch weicher wurde, nicht formen. Zögernd legte sie die Hand an den Ton und versuchte, Nans Anweisungen umzusetzen. Sie verglich es mit einer erwachsenen, anspruchsvollen Art und Weise, im Matsch zu spielen – wie sie es als Kind getan hatte, als sie im Hinterhof Lehmkuchen gebacken und simuliert hatte, sie zu essen.
Sie versuchte, den Ton nach oben zu ziehen, und hielt Zeige- und Mittelfinger auf beiden Seiten gleichmäßig an den Ton. Bald stellte sie fest, dass sie sich voll darauf konzentrieren musste, was sie tat, sonst wackelte die Form und brach auseinander.
»Das machen Sie gut, dafür, dass es das erste Mal ist«, fand Nan.
»Es ist schwerer als ich dachte«, gab Jessica mit einer Grimasse zu.
»Üben Sie Druck aus, aber nur leicht.«
Mit gelegentlicher Hilfe von Nan und ihren Ratschlägen wurde bald die Form eines Bechers erkennbar.
»Machen Sie den Rand nicht zu dünn, sonst bricht er beim Brennen oder zerkrümelt.«
Nach einer halben Stunde Arbeit und zwei neuen Ansätzen stellte Nan fest, dass der Becher eine ordentliche Form hatte.
»Marcus hat mir erzählt, dass Sie letzte Woche in Kingston waren«, plauderte Nan, während sie Jessica zeigte, wie sie einen Griff für die Tasse machen konnte und sie am Ton befestigte.
»Ja, ein interessanter Ort«, erwiderte Jessica etwas abgelenkt, da sie sich auf den Becher konzentrierte. »Hat er Ihnen erzählt, was mir auf dem Friedhof passiert ist?«
»Er hat es flüchtig erwähnt. So etwas ist nicht ungewöhnlich. Das ist auch schon anderen passiert.«
Jessica warf ihr einen amüsierten Blick zu, strich sich eine Strähne aus der Stirn, wobei sie einen Lehmstreifen in ihrem Gesicht hinterließ. »Mist. Und ich hatte gehofft, es wäre etwas Einzigartiges«, murmelte sie herausfordernd. Sie hatte bereits festgestellt, dass sie Nan sehr leicht vertrauen konnte, da sie sie in gewisser Weise an Alison erinnerte. Beide hatten die gleiche nüchterne Einstellung gegenüber der Welt und dem Leben im Allgemeinen. Sie war sicher, dass beide die Heimsuchung von Geistern, freundlich oder nicht, für Unsinn halten würden.
»Der Ort hat mir Albträume beschert – über Kingston und die Strafgefangenensiedlung. Anscheinend bekomme ich das nicht aus dem Kopf oder meinem Unterbewusstsein.«
Nan musterte sie scharf. »Tatsächlich? Das ist merkwürdig. Ich werde es Marcus erzählen.«
»Simon hat mich kuriert«, versicherte Jessica ihr. »Er hat mir ein leichtes Schlafmittel gegeben. Das hat mich geheilt. Seit drei Nächten habe ich keine Albträume mehr.«
»Das ist gut.«
Mit einem Stück Draht löste Nan den Boden der Tasse vom Rest des Tons und stellte sie auf ein Brett. »Sie muss eine Weile trocken, bevor sie gebrannt wird.« Kritisch betrachtete sie das Werk und meinte: »Sie würden eine gute Töpferin werden, glaube ich.«
Jessica säuberte sich die Hände und versuchte, den Ton unter den Fingernägeln hervorzukratzen. »Ach ja? Und wie lange haben Sie gebraucht, um eine fähige Töpferin zu werden?«
»Etwa neun Jahre.« Nan zwinkerte vergnügt. »Wie lange hat es denn gedauert, bis Sie malen konnten?«
Jessica betrachtete ihre Hände und lächelte. »Touché.«
»Kommen Sie, wir essen etwas.«
Beim Essen, einem Lachssalat, den sie auf der Terrasse zu sich nahmen, wo die Weihnachtsparty stattgefunden hatte, tauschten die beiden Frauen Geheimnisse aus. Zwischen ihnen herrschte eine erstaunliche Harmonie, und Jessica wurde klar, wie wichtig das war. Es war gut für sie, jemanden zu haben, eine Frau, mit der sie reden konnte. Manche Dinge wollte sie nicht einmal Simon erzählen, sie dachte nicht, dass es
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