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Das Lied der schwarzen Berge

Das Lied der schwarzen Berge

Titel: Das Lied der schwarzen Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tiefe zu sehen. Er wurde schwindelig und hatte den wahnsinnigen Drang, sich mit dem Kopf zuerst in die Schlucht zu stürzen. Es war, als zöge ihn eine fremde, starke Macht hinab. Tief atmend sah er hinüber zu der kleinen Gruppe von drei Menschen, die allein auf der leicht schwankenden Brücke stand und ihm entgegensah. Er bemerkte, wie sich Elena an Meerholdt klammerte und den Kopf verbarg. Sie hat mich erkannt, dachte er grimmig. Sie fürchtet meinen Zorn. Das gab ihm Mut, weiterzugehen. Mit tastenden Schritten balancierte er über die schwankenden Bohlen.
    Elena richtete sich plötzlich auf und riß sich von Meerholdt los. Ehe Ralf und Drago Sopje sie fassen konnten, rannte sie auf den Teil der Brücke zu, der nur provisorisch befestigt war und an einigen dünnen Stahlseilen hing, bis von unten her die Betonpfeiler emporwuchsen und ihr Halt geben würden.
    »Elena!« schrie Meerholdt. Entsetzen lähmte ihn, während Drago Sopje vorsichtig der Flüchtenden folgte. »Die Brücke hält das nicht aus! Du stürzt ab, Elena! Halt! Halt!«
    Stanis Osik blieb stehen und warf die Arme in die Luft. »Elena!« brüllte er grell. »Elena!«
    Sie wandte sich um und umklammerte das Geländer der schwankenden Brücke. »Geh nicht weiter, Vater!« schrie sie zurück. »Noch einen Schritt – und ich springe hinab!«
    Osik blieb wie angewurzelt stehen. Meine Tochter, durchfuhr es ihn. Sie ist meine Tochter. Jetzt sehe ich es! Lieber den Tod, als etwas gezwungen tun! Lieber sterben als nachgeben! Mit einem Dickkopf in das Grab … er wischte sich über das Gesicht. Kalter, klebriger Schweiß war an seinen Händen, als er sie wieder zurückzog … Angstschweiß, der seinen Körper wie mit Wasser durchtränkte.
    »Ich schlage dich nicht, Püppchen«, sagte er matt. »Komm zu mir …«
    »Ich habe Angst vor dir.« Elenas Stimme war weit und kläglich.
    »Ich verspreche dir alles … nur komm zurück von der Brücke.«
    »Ich darf in Zabari bleiben?«
    »Jaja … komm, Elena.«
    »Du schwörst es?«
    »Bei der Heiligen Mutter von Sarajewo! Komm jetzt, Elena.«
    »Du wirst mir nichts tun? Du fährst morgen wieder weg nach Zagreb …«
    »Alles, alles was du willst! Nur komm herunter, mein Püppchen.«
    Zögernd kam Elena zurück. Jetzt konnte sie Drago Sopje fassen … er zog sie schnell von den schwankenden Böden weg auf den festeren Teil, der schon auf einem Pfeiler auflag. Osik war jetzt bei Meerholdt angekommen und drückte ihm stumm die Hand. »Gehen wir«, sagte er stockend. »Sonst glaubt sie mir nicht, daß ich mein Wort halte. Ich werde bei Ihnen mit ihr genauer sprechen.«
    Sie gingen zurück zur planierten Auffahrt am Rande des Tales, und Elena folgte ihnen mit Sopje, ungewiß, ob Osik seine Versprechungen halten würde …
    Am nächsten Morgen schon hielt Stanis Osik sein Versprechen – er fuhr zurück nach Foca und von dort nach Zagreb. Ausschlaggebend waren nicht die Tränen und Anklagen Elenas, sondern eine halbstündige Aussprache mit Ralf Meerholdt unter vier Augen. Meerholdt hatte auf die direkte Frage Osiks ebenso klar geantwortet.
    »Lieben Sie Elena?« hatte Osik gefragt.
    »Ich empfinde eine tiefe Zuneigung zu Ihrer Tochter, eine Zuneigung, die man einer so schönen Frau entgegenbringen muß. Ob es Liebe ist? Ich glaube es nicht …« Meerholdt hatte sich diesen Satz genau überlegt … er war klar und ließ für Osik alles offen, was zwischen ihm und Elena gewesen war.
    Osik nickte verständig. Er hatte den Sinn der Worte verstanden.
    »Sie wollen sie also nicht heiraten?«
    »Nein.«
    »Eine klare Antwort, Herr Meerholdt.« Osik war sehr zufrieden. »Aber Elena meint, Sie seien der einzige Mann, der in ihr Leben paßt. Sie will Sie heiraten!«
    »Ich weiß es, Herr Direktor. Darum war ich Ihnen dankbar, daß Sie sofort nach Zabari kamen, um Elena abzuholen. Daß sie mit solch massiven Drohungen wie vorhin auffahren würde, habe ich nie und nimmer erwartet. Es wird schwer sein, sie zu überzeugen, daß meine Zuneigung eben nur ein Tribut an ihre Schönheit ist – aber nicht ausreicht, um daraus eine Ehe zu gestalten.« Meerholdt sah aus dem Fenster über das Lager. »Ich glaube jetzt fast, daß es wirklich die beste Lösung ist, Elena hier zu lassen. Sie wird hier eher als aus einiger Entfernung begreifen und vor allem sehen lernen, daß unsere Welten verschieden sind.«
    »Das habe ich ihr auch schon gesagt.« Osik faßte es anders auf als Meerholdt und war verwundert über das ›Fingerspitzengefühl‹, wie

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