Das Lied der schwarzen Berge
Kopf. »Eigentlich sollte man dich verbluten lassen.«
»Und warum tust du es nicht?«
»Ich habe noch vieles mit dir vor«, sagte er geheimnisvoll.
Als er die beiden Eimer Wasser geholt hatte, schloß er die Tür wieder ab. Dann stellte er sie an den Herd und nahm die blutige Kleidung an sich.
»Versuche nicht zu flüchten«, sagte er, ehe er die Hütte verließ. »Es führt nur ein Weg über die Felsspalten ins Tal … und den findest du nicht!« Er stockte und meinte dann: »Vielleicht bleibst du leben, wenn die Fremden vernünftig sind. Vielleicht … das Tier ist oft vernünftiger als der Mensch …«
Er schloß die Tür ab und wälzte einen großen Stein davor. Aufatmend stand er dann auf seinem Plateau und dehnte die Brust in der warmen Frühlingssonne. Von Foca her zogen Wolken über die Berge … über Zabari kreisten drei Adler, still, in weiten Kreisen, majestätisch mit ihren angespannten Flügeln und den eingezogenen Fängen. Aus der Ferne tönte Donner … dort wurden Felsen gesprengt und Straßen angelegt. Der Vormarsch der Unruhe, der Tod der herrlichen Einsamkeit kam näher.
Jossip drückte die blutige Wäsche an sich und stieg den verborgenen Pfad hinab ins Dorf. Ehe er aus den Felsen trat, verbarg er die Kleidung unter seinem weiten Umhang auf der Brust und grüßte wenig später freundlich die Arbeiter, die am Waldhang die gefällten Stämme an die Ketten banden, mit denen die Raupenschlepper sie ins Tal zogen.
Am Nachmittag des folgenden Tages wurde das erste Stück von Elenas Kleidung gefunden. Es war das seidene Unterkleid, blutig, zerrissen und verschmutzt. Es lag jenseits der Schlucht neben einem Baum … in einer völlig anderen Richtung, als man den Täter vermutet hatte.
Hauptmann Vrana und Ralf Meerholdt fuhren sofort mit einem Jeep zu der Fundstelle und riefen in Zagreb an. Die Spezialbeamten aus Belgrad mit ihrem forschen Hauptmann, der noch immer die Ausgangssperre verhängt hatte, packten Mikroskope und ein kleines Labor aus und begannen die Arbeit. Es stand außer Zweifel – das Blut an der Wand des Zimmers und das Blut in dem Unterkleid waren das gleiche. Es war das Blut Elena Osiks. Damit hatte man einen klaren Beweis, daß ein Verbrechen geschehen war.
»Ihre Unterwäsche sagt alles! Freiwillig hat sie sie bestimmt nicht ausgezogen … und das Blut daran!« Hauptmann Vrana hob die Schultern. »Wir müssen uns damit abfinden, daß Fräulein Osik einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen ist! Es heißt jetzt nur noch, ihre Leiche zu finden. Den Täter kann uns nur das Glück bringen. Ein unverschämtes Glück!«
Für den Offizier aus Belgrad war Glück ein zu vager Begriff. Er war ein Mann der Realität. Er sperrte sofort wieder das Lager und begann, die tausend Männer systematisch zu untersuchen.
»Ein Bauer aus Zabari war es nicht!« sagte er bewußt. »In diesen Bergen kennt man keine Sexualmorde. Das ist eine Errungenschaft der Zivilisation! Also muß der Mörder unter den Arbeitern oder auch Soldaten zu finden sein! Und verlassen Sie sich darauf – ich bekomme ihn!«
Ralf Meerholdt erinnerte sich der Aussprache mit Vrana über das Problem des frauenlosen Lagers. Damals hatte er geglaubt, mit Alkoholverbot, Strafen und der Androhung der Sabotage eine straffe Ordnung in das Lager zu bekommen und die Auswüchse eines Lagerkollers zu verhindern. Zehn Arbeiter lagen in den Sarajewoer Gefängnissen in stinkenden Löchern und büßten für etwas, für das man eigentlich die Natur selbst verantwortlich machen sollte … eine ganze Kolonne von dreißig Arbeitern mit einem Truppführer hatte man nach Titograd zurückgeschickt, weil sie meuterten – ihr weiteres Schicksal war unbekannt.
Das schreckte ab … die nächsten Wochen waren ruhig. Bonelli merkte es am Umsatz und schimpfte auf die Moralität, von der er persönlich nicht viel hielt, bis auf eine Ausnahme, die Katja Dobor hieß.
Dann kam der Mord … ein Mord aus Motiven, gegen die Meerholdt vergeblich ankämpfte. Ein Mord, den er begünstigt hatte, indem er Elena in Zabari behielt und nicht Stanis Osik mitgab. Dieser Gedanke drückte auf ihn wie eine Zentnerlast, und sie wurde zu einem Niederschlag, als der Offizier aus Belgrad Rosa verhörte und die Auseinandersetzung erfuhr!
Einen Hinweis dafür hatte der Offizier von Bonelli erfahren. Bonelli erzählte harmlos, daß Rosa bei ihm eine Flasche Wein gekauft habe. Leider sei sie ihr zerbrochen … er hatte die Scherben am Morgen vor dem Hause des Ingenieurs
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