Das Lied der schwarzen Berge
bereits aus den Ställen auf die Dorfstraße getrieben.
»Retten Sie alles, was Sie können, Osik!« schrie Meerholdt den Direktor an. »Organisieren Sie den Abzug der Bauern! Lassen Sie sofort das Zeltlager der Soldaten räumen … sie sollen den Abtransport des Viehs und der Bevölkerung leiten! Alle Arbeiter sofort auf die umgrenzenden Höhen! In spätestens einer Stunde darf kein Mensch, kein Tier mehr im Tal von Zabari sein!«
Osik fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf. »Sie sind irr, Meerholdt!« brüllte er. »Was soll das?!«
»Retten Sie Ihr Leben! Ich habe keine Zeit zum Reden!«
Er stieß Osik zur Seite und rannte hinaus. Im Laufen nahm er seinen Revolver aus der Tasche, entsicherte ihn und keuchte den Berg hinauf, dem Wald entgegen.
Bauern kamen ihm entgegen, schnatternd … eine Schafherde wurde in die Berge getrieben … vierhundert Arbeiter auf Lastwagen fuhren bereits in die Felsenstraße hinein, während Vrana mit seiner Truppe den Ordnungsdienst aufrecht hielt. Keiner fragte mehr … noch immer gellten die Sirenen … es war, als habe sich ein Schrei gelöst, der in tausend Kehlen schlief …
Bonelli rannte jammernd herum und verlud Schnaps und Eßwaren auf ein kleines Auto. Katja schleppte Kisten herbei und stapelte die Waren auf dem Wagen.
»Was ist los?« schrie Bonelli. »Was soll das denn?! Wer weiß denn, was los ist?!«
Keiner wußte es … aber alle liefen aus dem Tal … ein schwarzer Strom von Menschen drängte zu der einzigen Straße hin und wälzte sich in die Berge hinein. Menschen, Tiere und Maschinen. Der Katastrophentrupp besetzte die Staumauer und die fertige Brücke … Hauptmann Vrana suchte Meerholdt, um Auskunft zu bekommen. Stanis Osik stand auf einem Lastwagen und dirigierte den Strom der Flüchtenden.
»Was ist denn los?« schrie Vrana. Osik zuckte mit den Schultern. Die Sirenen verstummten … das Schreien der Bauern, die ihre Herden antrieben, erfüllte das Tal, durchsetzt von dem Geheul der Motoren und Autos.
Meerholdt hatte unterdessen den Waldrand erreicht. Außer Atem lehnte er sich schweißüberströmt gegen einen Baum und wischte sich über die Augen. Unten im Tal war die Hölle los – Hunderte von Rindern drängten zur Straße hin … die Schafe rannten wirr durcheinander, Bauern brüllten, die schweren Traktoren und Raupenschlepper fuhren rücksichtslos in die Tiere hinein.
Meerholdt sah sich um, ehe er weiterrannte, dem Felsen zu, der dunkel, steil aufgerichtet in den blauen Himmel stieß.
Plötzlich blieb er stehen. Vor Grauen weiteten sich seine Augen.
An der Steilwand des Felsens hing ein Mensch!
Allein, winzig, klebte er auf halber Höhe an der senkrechten Seite, die über Zabari stand.
»Jossip!« schrie Meerholdt grell. »Jossip! Das ist doch Wahnsinn!!!«
Er rannte weiter und stand vor dem Felsen. Nur ein schmaler Pfad führte in schwindelnder Höhe um den Felsen herum, ein Pfad, auf dem zwei Menschen nicht nebeneinander gehen konnten.
Meerholdt kletterte weiter … er riß sich die Hände an den spitzen Steinen blutig, er schürfte seine Knie auf … die Hose zerriß, als er abrutschte und sich an einem vorspringenden Stein festhielt. Dann war er auf dem Pfad und rannte ihn entlang, bis er unter Jossip stand, der langsam herunterkletterte.
Zwischen den Zähnen hielt er die Zündschnüre, während er abstieg … über ihm, in den Felsen gehauen, waren die Sprenglöcher, die er schon in der Nacht geschlagen hatte, bevor er das Dynamit aus dem Lager stahl. Um seine Knie und seine Schulter leuchtete es weiß … die Verbände, die ihm Osik geschickt hatte … die Verbände, die es ihm ermöglichten, diese grausige Tat zu vollbringen.
Meerholdt riß den Revolver empor. Er schoß … er wußte keinen anderen Weg mehr … er schoß zweimal, dreimal … das ganze Magazin leer. Aber die Schüsse prallten seitlich von Jossip an dem Felsen ab … Meerholdt zitterte so sehr vom Lauf und der Erregung, daß er nicht ruhig zielen konnte.
Jossip hörte die Schüsse und sah es neben sich im Gestein splittern. Er schaute hinab und sah Meerholdt stehen, den Revolver in der Hand. Ein grausames Lächeln verzog sein Gesicht … er kletterte seitlich weiter, die Zündschnüre durch den Mund abspulend. Mit einem Sprung stand er dann auf dem Pfad, rannte ein Stück zurück und nahm einen dicken Knüppel vom Boden auf. Mit ihm rannte er zurück und stellte sich vor die herabhängende Schnur, bevor Meerholdt sie erreichte. Mit einem Streichholz, das er auch
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