Das Lied der schwarzen Berge
brauchst sie nicht selbst zu bringen … laß sie frei laufen, und sie wird nicht verraten, wo dein Versteck ist! Die 100.000 Dinare lege ich dir hier an den Waldrand hin … du kannst sie nehmen und wegziehen und ein schönes Leben führen. Niemand wird dich suchen. Hörst du mich, Jossip?«
Jossip kniff die Augen zusammen. Er richtete sich hinter einem dicken Stein auf und lehnte sich dagegen. Stanis Osik hielt den Atem an … er starrte in die Dunkelheit und die hellen Flecken, die der Mondschein auf den Boden zauberte. Sein Herz schlug wie eine Trommel … er preßte die Hand auf die Brust und ächzte.
Plötzlich fuhr er empor … er umklammerte das Mikrophon und stieß mit dem Kopf nach vorn.
Eine Stimme … eine Stimme aus den Felsen … dünn, wie weit weg … aber vernehmbar und deutlich.
»Ich brauche dein Geld nicht, Osik! Ich habe Elena nicht mitgenommen, um Geld zu bekommen!«
Osik spürte, wie kalter Schweiß über seinen Körper rann. Er stöhnte leise. »Aber sie lebt?« fragt er durch das Mikrophon.
»Sie lebt, und es geht ihr gut.«
»Das ist schön, Jossip.« Stanis Osik traten die Tränen in die Augen. »Warum gibst du sie nicht heraus?«
»Ich habe meine Gründe, Osik. Ich hasse dich nicht … ich hasse auch Elena nicht, obgleich sie Rosa schlug. Meine Rosa, Osik! Ich hätte sie töten müssen dieser Schläge wegen …«
»Sie tat es aus Eifersucht, Jossip. Verstehst du das nicht? Gerade du nicht?«
Jossip schwieg. Er lehnte hinter seinem großen Stein und wischte sich über die Stirn. Gerade du … sagte er. Gerade du … Eifersucht … sie macht wahnsinnig, sie macht toll, sie läßt den Menschen zum Mörder werden … Jossip nickte.
»Geh weg aus Zabari, Osik«, rief er zurück. »Geh sofort weg! Es wird Schreckliches geschehen … darum geh, Osik!«
»Nicht ohne Elena.«
»Ich verspreche dir, sie dir wiederzubringen! Sie und du und ich … wir werden die einzigen sein, die Zabari wiedersehen. Ich muß sie hierbehalten, um ihr Leben zu retten … geht sie mit dir nach Zabari, wird auch sie getötet werden … Ich bringe dir Elena gesund nach Sarajewo! Warte dort auf mich!«
Stanis Osik erhob sich und wollte der Stimme entgegenkommen. Jossip sah es und schrie.
»Bleib stehen, oder ich muß mich wehren!«
Osik blieb stehen, das Mikrophon in der Hand.
»Laß uns vernünftig sprechen, Jossip! Brauchst du etwas?«
»Verbandstoff und Mittel gegen Fieber und Wundbrand.«
Osik hob beide Hände. »Sei kein Idiot, Jossip! Das kannst du nicht selber heilen! Wenn du verwundet bist, mußt du zu einem Arzt!«
»In Zabari hängen sie mich auf! Lieber sterbe ich in meinen Bergen wie ein Stück Wild.«
»Ich werde dir die Sachen bringen.« Osik ging zurück zu seinem Klappstuhl und setzte sich. »Ich lege dir alles auf den Weg dort. Noch etwas?«
»Ja.« Jossips Augen leuchteten. Verbände, dachte er. Fiebermittel, Kühlung des Wundbrandes! Ich bin gerettet … ich habe mein Leben wieder … Eine tiefe, fast hündische Dankbarkeit Osik gegenüber stieg in ihm empor. »Verlaß sofort Zabari, Stanis. Ich bitte dich darum. Hörst du … ich bitte dich! Ich schwöre dir bei Gott, daß Elena nichts geschieht!«
»Dann laß sie frei!«
»Sie würde mich verraten!«
»Nein. Wir werden morgen früh abreisen, wenn du Elena freigibst.«
Jossip schwieg. Er zögerte. Osik zitterte, wie ein Schüttelfrost überkam es ihn. Jetzt entscheidet es sich … jetzt wird er antworten … Osik drückte die Hand gegen das Herz. Er glaubte, zu ersticken.
Jossip schüttelte langsam den Kopf.
»Es geht nicht, Stanis. Ich habe Angst vor der Schwäche der Menschen.«
Stanis Osik hörte, wie Steine zu Tal rollten, wie in der Ferne ein Schritt durch die stille Nacht knirschte. Jossip ging. »Bleib!« schrie Osik grell. »Führ mich zu Elena … laß sie mich sehen … nur einmal sehen … einmal sprechen! Ich verrate dich nicht …«
Seine Stimme verlor sich in den Bergen … das Echo warf seine Stimme zurück … sie überschlug sich ein paarmal.
Er lauschte. Die vollkommene Stille war wieder um ihn. Der Mond wanderte … die hellen Flecken auf dem Boden verschoben sich.
Jossip schwieg.
Da klappte Osik weinend seinen Stuhl zusammen und stieg hinunter ins Tal.
Dort, wo die Lichtung begann, wo die Holzfällerkommandos der Bautrupps das Bauholz schlugen, erwarteten ihn Meerholdt, der Arzt und Hauptmann Vrana.
Vrana rannte unruhig hin und her. Er stürzte auf Osik zu, als er aus der Dunkelheit des Waldes
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