Das Lied der Sirenen
Telefonsex. Er gab Männern wenigstens einen gewissen Grad an Gleichberechtigung; man konnte nicht nur einen Orgasmus vortäuschen, sondern auch Erektionen.
Angelica kicherte. »Ich meinte, ich sollte dir was Nettes hinterlassen, wenn du nach Hause kommst. Ich hoffe, du bist nicht zu müde für ein bißchen Entspannung.«
»Ich bin nie zu müde für deine Art von Entspannung«, erwiderte Tony und schluckte den Selbstekel hinunter, der ihn beinah übermannt hätte. Nimm es als Therapie, sagte er sich. Er legte sich zurück und ließ ihre Stimme über sich hinwegfluten, und seine Hand wanderte langsam von seiner Brust hinunter zu seiner Leiste.
Die Putzfrauen hielten ein Schwätzchen vor dem Aufzug, als Penny Burgess im dritten Stock des Gebäudes der
Bradfield Evening Sentinel Times
auftauchte. Sie ging durch die Nachrichtenzentrale, knipste überall die Lichter an und summte dabei ein Liedchen vor sich hin. In ihrem Büro warf sie die Handtasche neben den Computer auf ihrem Schreibtisch, setzte sich, loggte sich ein, aktivierte das Programm, das sie zur Datenbank der Zeitungsbibliothek führte, und drückte dann die Suchtaste. Fünf Optionen wurden ihr angeboten: 1 . Thema; 2 . Name; 3 . Verfasser des Artikels; 4 . Datum; 5 . Bilder. Penny wählte Option 2 . Beim Familiennamen gab sie »Hill« ein, bei »Vorname« Tony, und als auch noch »Titel« gefragt wurde, tippte sie »Dr.« ein. Dann lehnte sie sich zurück und wartete, bis der Computer sich durch die Gigabytes an Informationen in seinem Speicher gearbeitet hatte. Penny riß eine Zigarettenpackung auf und steckte sich die erste Zigarette des Tages an. Sie hatte erst zwei Züge gemacht, als auf dem Bildschirm »gefunden ( 6 )« aufleuchtete.
Penny rief die sechs Angebote nacheinander auf. Sie erschienen in umgekehrter Reihenfolge des Datums. Das erste war ein zwei Monate alter Artikel aus der
Sentinel Times.
Er war von einem der Nachrichtenreporter verfaßt worden. Sie hatte ihn damals gelesen, den Inhalt aber vergessen. Während sie ihn jetzt noch mal durchlas, pfiff sie leise vor sich hin.
IM KOPF EINES MÖRDERS
Der Mann, den das Innenministerium zum Vorkämpfer bei der Jagd nach Serienmördern auserwählt hat, äußerte sich heute über die Morde, die die Homosexuellenszene der Stadt in Angst und Schrecken versetzen.
Der forensische Psychologe Dr.Tony Hill ist seit einem Jahr an der Arbeit, ein von der Regierung finanziertes Projekt zu realisieren, das zur Einrichtung einer Nationalen Einsatzgruppe zur Erstellung von Verbrecherprofilen führen soll, wie sie beim FBI bereits besteht und in dem Film Das Schweigen der Lämmer dargestellt wurde.
Dr.Hill, 34 , war vorher Chefpsychologe am Blamires Hospital, der Hochsicherheitsanstalt, die die gefährlichsten geisteskranken Verbrecher Englands beherbergt, unter ihnen auch den Massenmörder David Harney und den Serienmörder Keith Pond, den »irren Autobahnkiller«.
Dr.Hill äußerte sich wie folgt zu den Mordfällen in Bradfield: »Ich bin von der Polizei in keinem der Mordfälle konsultiert worden und weiß daher nicht mehr darüber als die Leser dieser Zeitung.«
Entweder hatte Dr.Hill ihren Kollegen damals angelogen, oder er war erst nach dem Interview offiziell in die Ermittlungen eingeschaltet worden. Wenn das der Fall war, sah Penny bereits die Möglichkeit, daraus eine Story zu machen, die ihrem Herausgeber gefallen würde. Sie hatte sogar schon eine Vorstellung von der Überschrift: » POLIZEI FOLGT BEI DER JAGD NACH DEM MÖRDER EINER ANREGUNG DER
BRADFIELD EVENING SENTINEL TIMES .« Sie überflog rasch den Rest des Artikels. Es stand nichts darin, was sie nicht schon wußte, allerdings war Dr.Hills Spekulation interessant, daß die Diskrepanzen beim dritten Mord im Vergleich zu den anderen auf die Existenz von zwei Mördern schließen lassen könnte. Dieser Gedanke war anscheinend versandet. Wenn sie Kevin wieder mal ans Telefon bekam, würde sie ihn danach fragen.
Der nächste Artikel stammte aus dem
Guardian,
und er kündigte das Vorhaben des Innenministeriums an, eine Nationale Einsatzgruppe zur Erstellung von Verbrecherprofilen ins Leben zu rufen, um Serientätern schneller auf die Spur zu kommen. Das Projekt war bei der Universität von Bradfield angesiedelt. Der Artikel verschaffte ihr intensivere Hintergrundinformationen über Dr.Hill, und sie machte sich ausführliche Notizen über seine Karriere. Kein Dummkopf, dieser Bursche. Sie würde vorsichtig mit ihm umgehen müssen. Sie
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