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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Geistesabwesenheit befindet, muß er, wie ich meine, erkennen, daß unter dem Gesichtspunkt des guten Geschmacks ein Mord höher oder niedriger einzustufen sein wird als ein anderer. Morde haben ihre kleinen Unterschiede sowie Schattierungen im Hinblick darauf, ob sie als künstlerisch verdienstvoll betrachtet werden können, sei es in Gestalt der Statue, des Gemäldes, des Oratoriums, der Miniatur, des Intaglios oder was sonst auch immer.
    T ony lag ausgestreckt in der Badewanne, ein Glas, gefüllt mit Cognac, in greifbarer Nähe. Er war entspannt, matt, erschöpft, und er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letztenmal so frei von Sorgen, so optimistisch gefühlt hatte. Sein Erlebnis mit Angelica am Telefon in Verbindung mit der Überzeugung, daß er bei der Erstellung des Profils gute Arbeit geleistet hatte, hatten ihm neue Hoffnung gegeben. Vielleicht konnte er seine sexuelle Funktionsstörung überwinden. Vielleicht konnte er so leben wie alle anderen, wie diejenigen, die mit ihren Problemen zurechtkamen, die Vergangenheit bewältigen und ihr Dasein so gestalten konnten, wie sie es sich wünschten. »Ich kann mein Leben ändern«, verkündete er laut.
    Das schnurlose Telefon piepste. Mit einer langsamen, fließenden Bewegung griff Tony danach. Er hatte keine Angst mehr, wenn das Telefon läutete. Seltsam, wie er gelernt hatte, Angelicas Anrufe eher willkommen zu heißen als zu fürchten. »Hallo«, meldete er sich gut gelaunt.
    »Tony, hier ist John Brandon. Ich schicke einen Wagen vorbei. Wir haben wieder eine Leiche gefunden.«
    Tony setzte sich abrupt auf, und das Wasser in der Wanne schlug Wellen wie bei einem Experiment in einem Meeresaquarium.
    »Und Sie glauben …?«
    »Carol Jordan und Don Merrick waren fünf Minuten nach Eingang des Anrufs am Fundort und haben mich verständigt.«
    Tony schloß die Augen. »O Gott!« stöhnte er. »Wo ist es?«
    »In der öffentlichen Toilette in der Clifton Street. Temple Fields.«
    Tony stieg aus der Wanne. »Ich sehe Sie dort«, sagte er mit belegter Stimme.
    »Okay, Tony. Der Wagen müßte in fünf Minuten oder so bei Ihnen sein.«
    »Ich werde bis dahin fertig sein.« Tony beendete die Verbindung und stürmte aus dem Badezimmer, sich unterwegs abtrocknend. Wirre Gedanken schossen durch seinen Kopf, während er Jeans, T-Shirt, Pullover und Lederjacke anzog und ein zweites Paar Socken überstreifte, als ihm einfiel, wie kalt es draußen sein würde. Es klingelte an der Haustür, als er gerade die Schuhe zuschnürte.
    Während der Fahrt im Streifenwagen machte die angespannte Atmosphäre jeden konstruktiven Gedanken unmöglich; sie rasten durch die nächtlichen Straßen, und die Blitze des Blaulichts zuckten durch das unwirkliche orangefarbene Licht der Straßenlaternen. Seine Eskorte, zwei machohaft wirkende Verkehrspolizisten, verharrten in einer schweigsamen Haltung absoluter Konzentration, was ein Gespräch nicht zuließ. Mit quietschenden Reifen bogen sie in die Clifton Street ein, dann stieg der Fahrer kräftig auf die Bremse, als er das polizeiliche Absperrband sah, das den Zugang zum mittleren Teil der Straße verhinderte.
    Das Band wurde für Tony hochgehoben, und er eilte auf eine Ansammlung von Polizeifahrzeugen und einem Krankenwagen zu. Als er näher kam, sah er das Hinweisschild für die öffentliche Toilette, das hell vor dem dunkel aufragenden Gebäude leuchtete. Neben dem Krankenwagen ragte deutlich sichtbar die Gestalt von Don Merrick auf, unverkennbar wegen des bandagierten Kopfs. Die herumlaufenden Polizisten ignorierten Tony, und er drängte sich zu Merrick durch, der gerade über ein Mobiltelefon in ein Gespräch vertieft war. Er machte Tony ein Zeichen, daß er ihn erkannt hatte, und beendete dann das Gespräch: »Okay, danke. Tut mir leid, daß ich Sie stören mußte.«
    »Sergeant«, sagte Tony, »ich suche Mr.Brandon oder Inspector Jordan.«
    Merrick nickte. »Sie sind beide da drin. Sie wollen sich das bestimmt auch ansehen, nehme ich an.«
    »Wer hat die Leiche gefunden?«
    »Eine von den Nutten. Sie behauptet, die Damentoilette sei besetzt gewesen, und sie sei deshalb in die Kabine für Schwerbehinderte gegangen. Ich würde wetten, sie hatte einen Freier dabei. Er ist bestimmt beim ersten Anzeichen dafür, daß es Ärger geben könnte, abgehauen.«
    Aus dem Augenwinkel sah Tony, daß Carol aus der Toilette auftauchte. Sie ging geradewegs zu ihnen. »Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte sie, während Merrick zur Seite trat und

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