Das Lied der Sirenen
Bedürfnisse ausgerichtet als auf seine. Die Frauen, mit denen er in der Vergangenheit zu tun gehabt hatte, waren ihre emotionalen Doppelgänger gewesen, das erkannte er jetzt. Dank Angelica wagte er nun zu hoffen, daß diese Serie beendet war, die ihm im Laufe der Jahre so viele Qualen bereitet hatte.
Sein Sexualleben hatte später begonnen als bei den meisten Gleichaltrigen, zum Teil, weil sein Körper nur zögernd heranreifte. Bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr war er bei weitem der Kleinste in der Klasse gewesen, dazu verdammt, sich mit dreizehn- bis vierzehnjährigen Mädchen einzulassen, die noch mehr Angst vor Sex hatten als er. Dann war er plötzlich innerhalb eines halben Jahres um dreizehn Zentimeter hochgeschossen. Kurz nach Beginn seines Studiums an der Universität hatte er bei einer unbeholfenen Fummelei auf einem schmalen Einzelbett seine Unschuld verloren. Die daran beteiligte Freundin war erleichtert, das Hindernis der Jungfräulichkeit los zu sein, und hatte ihm wenige Tage später den Laufpaß gegeben.
Während des Studiums war er zu schüchtern und zu arbeitsam gewesen, um seine Erfahrungen entscheidend zu vertiefen. Kurz nach dem Beginn der Arbeit an seiner Promotion aber hatte er sich Hals über Kopf in eine junge Philosophie-Tutorin verknallt. Da er intelligent und attraktiv war, erregte er ihr Interesse. Patricia machte kein Hehl daraus, daß sie eine Frau von Welt war, wie sie dann auch kein Held daraus machte, daß sie ihre Beziehung wegen seiner schwachen Vorstellung im Bett beendete. »Schau den Tatsachen ins Auge, mein Süßer«, hatte sie zu ihm gesagt, »dein Gehirn mag dir ja den Doktortitel einbringen, aber dein Ficken ist nicht mal reif für den Abschluß der Mittelschule.«
Von da an war es immer nur bergab gegangen. Die letzten Frauen, die sich mit Tony angefreundet hatten, waren der Meinung, er sei der perfekte Gentleman, der sie nie drängte, mit ihm ins Bett zu gehen, bis sie ihn dann doch dorthin brachten und feststellten, wie wenig er zum Sex fähig war. Er hatte schon vor langer Zeit entdeckt, wie schwer es war, Frauen zu überzeugen, daß seine Unfähigkeit zur Erektion nichts mit ihnen zu tun hatte.
Vielleicht hatte er endlich einen Weg gefunden, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und die Zukunft in Angriff zu nehmen. Noch ein paar Abende wie heute mit Angelica, und vielleicht – vielleicht! – war er dann so weit, die Sache realiter auszuprobieren. Er fragte sich, ob Angelicas Dienste sich auch darauf erstreckten. Vielleicht sollte er einmal ein paar Andeutungen in dieser Richtung fallenlassen.
Brandon las das Papier vor sich auf dem Schreibtisch, sich dabei den Schlaf aus den Augen reibend. Dave Woolcott und er hatten den Abend damit verbracht, Dutzende von Ergebnisberichten auszuwerten, die Dave zur Feststellung von Wechselbeziehungen zwischen ermittelten Daten – zum Beispiel Autonummern – veranlaßt und die der HOLMES -Computer ausgespuckt hatte. Trotz ihrer verbissenen Entschlossenheit, auch nur Ansätze für Spuren zu finden, die zu dem Killer führen könnten, waren sie auf nichts dergleichen gestoßen.
»Vielleicht wird Carols Idee uns was bringen«, sagte Dave gähnend.
»Wir haben alles andere versucht«, erwiderte Brandon, und seine Stimme entsprach der Mutlosigkeit auf seinem Gesicht. »Es kann nichts schaden, wenn wir das auch noch probieren.«
»Sie ist intelligent, dieses Mädchen«, stellte Dave fest. Wieder verzog sich sein Gesicht zu einem Gähnen.
»Gehen Sie nach Hause, Dave. Wann haben Sie Marion zum letztenmal wach gesehen?«
»Fragen Sie nicht, Sir. Aber ich wollte sowieso abhauen, es gibt nicht mehr viel, was ich noch tun könnte. Ich werde gleich morgen früh herkommen und diese Liste der Lieferanten von Computerzubehör fertigstellen.«
»Okay, aber nicht zu früh, hören Sie? Kümmern Sie sich mal ein bißchen um Ihre Familie. Frühstücken Sie wenigstens mit ihr.« Bevor er selbst ging, wollte Brandon noch einmal die Zeugenaussagen und Berichte der Beamten der Sonderkommission durchlesen; er weigerte sich einfach, zu glauben, daß nicht irgend etwas darin verborgen war, das zu einem ersten erfolgversprechenden Durchbruch führen konnte. Als er etwa die Hälfte des Stapels geschafft hatte, war es mit seiner Motivation vorbei, auch noch den Rest durchzulesen. Die Aussicht, im Bett Maggies warmen Körper zu spüren, war geradezu unwiderstehlich verlockend.
Brandon seufzte und starrte auf das nächste Blatt Papier.
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