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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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dir steckte, die Frau, die du nun einmal warst. Glaub mir, Angelica, ich habe enormen Respekt vor dir, daß du das alles durchgestanden hast. Ich weiß, wie schwer es ist, Mediziner zu finden, die so etwas ernst nehmen. Und dann die Hormontherapie, die Elektrolyse, das Leben halb als Mann, halb als Frau, während du auf die Operationen warten mußtest, und schließlich die Qualen der chirurgischen Eingriffe.« Er schüttelte staunend den Kopf. »Ich hätte nicht den Mut gehabt, das alles über mich ergehen zu lassen.«
    »Es war nicht leicht.« Die Worte kamen ihr fast gegen ihren Willen über die Lippen.
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Tony mitfühlend. »Und dann, nach all den Qualen, hast du dich gefragt, ob es sich gelohnt hat, als du erkennen mußtest, daß die Dummheit, der Mangel an Sensitivität und Verständnis, die du bisher schon bei Männern festgestellt hattest, nicht einfach verschwanden, weil du jetzt eine Frau warst. Sie waren immer noch ein Haufen dummer Bastarde, unfähig, eine außergewöhnliche Frau zu erkennen, die ihnen ihre Zuneigung und Liebe auf einem silbernen Tablett servierte.«
    Wieder unterbrach sich Tony, musterte ihr Gesicht und entschied, daß die Zeit für das große Spiel gekommen war. Die Kälte war aus ihren Augen gewichen und hatte einem fast leidenden Ausdruck Platz gemacht. Er sprach mit weicher, leiser Stimme weiter. Lieber Gott, flehte er, gib, daß sich meine Ausbildung bezahlt macht.
    »Sie haben dich zurückgewiesen, nicht wahr? Adam Scott, Paul Gibbs, Gareth Finnegan, Damien Connolly. Sie haben dich abblitzen lassen.«
    Angelica schüttelte heftig den Kopf, als ob sie dadurch die Vergangenheit leugnen könnte. »Sie haben mich im Stich gelassen. Sie haben mich nicht zurückgewiesen oder abblitzen lassen, sie haben mich im Stich gelassen. Sie haben mich verraten.«
    »Erzähl mir davon«, sagte Tony sanft.
    »Warum sollte ich?« schrie sie, trat vor und schlug ihm so fest ins Gesicht, daß er vom Aufprall seiner Wange auf die Zähne Blut im Mund schmeckte. »Du bist nicht besser als sie. Was ist mit diesem blonden Miststück, dieser Schlampe, die du gebumst hast?«
    »Du meinst Carol Jordan?« fragte er. Wie sollte er damit umgehen? Sollte er lügen oder die Wahrheit sagen?
    »Du weißt ganz genau, wen ich meine. Und ich weiß, daß du mit ihr zusammen warst. Versuch ja nicht, mich anzulügen«, fauchte sie und hob wieder die Hand. »Du verräterischer, treuloser Bastard!« Ihr Handrücken knallte erneut auf seine Wange, so fest, daß sein Genick unter dem Aufprall knackte.
    Tränen schossen Tony unwillkürlich in die Augen. Die Wahrheit würde ihm nichts nützen. Sie würde ihm nur weitere Bestrafungen einbringen. Er hoffte inständig, überzeugend zu lügen, und hielt dann seine Verteidigungsrede. »Sie war für mich doch nur ein schneller Fick, Angelica, einfach jemand, bei dem man das Jucken mal weggekratzt bekam. Du hast mich mit deinen Anrufen so unglaublich scharf gemacht. Ich wußte nicht, wann du dich, wenn überhaupt, wieder melden würdest.« Er zwang jetzt Ärger in seine Stimme. »Ich hatte unheimliche Sehnsucht nach dir, und du hast mir ja nicht gesagt, wie ich dich erreichen kann. Es ist wie bei dir mit den anderen Männern, Angelica. Ich habe Zeit totgeschlagen, wartete darauf, wieder mit der mir ebenbürtigen Frau zusammenzukommen. Du kannst doch nicht im Ernst annehmen, daß ein simpler Cop meinen Phantasien entsprechen würde, oder? Du solltest es wissen, du hast ja selbst mit einem zu tun gehabt.« Angelica trat zurück. Sie war sichtlich geschockt. Tony spürte, daß er so etwas wie einen Durchbruch erzielt hatte, und fuhr rasch fort: »Mit uns war es anders, mit dir und mir. Sie waren deiner nicht wert. Aber das mit uns beiden war etwas Besonderes. Du mußt es doch von unseren Telefongesprächen wissen. Hast du denn nicht gespürt, daß wir eine außergewöhnliche Beziehung hatten, daß es diesmal nicht so war wie mit den Kerlen davor? Ist das nicht das, was du wirklich willst? Du willst diese Morde im Grunde nicht. Das Morden geschah nur, weil sie deiner nicht würdig waren, weil sie dich im Stich gelassen haben. Was du wirklich willst, das ist ein würdiger Partner, das ist Liebe. Was du willst, Angelica, bin ich.«
    Für einen langen Moment starrte sie ihn mit weit geöffneten Augen und offenem Mund an. Dann zeigte sich Bestürzung auf ihrem Gesicht, für Tony so offensichtlich wie der vorgetäuschte Orgasmus einer Nutte. »Benutze dieses

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