Das Lied der Sirenen
auf, als Brandon in den Raum kam.
Er ging zu Woolcott, stellte sich hinter ihn und wartete, bis dessen Gespräch mit dem Constable am Terminal beendet sein würde. Brandon unterdrückte einen Seufzer. Es wurde wirklich Zeit, daß er über seine Pensionierung nachdachte, so jung, wie sie alle um ihn herum waren. »Such weiter nach einer Übereinstimmung, Harry, mach auch eine Cross Reference mit dem Criminal Research Office, okay?« hörte er Woolcott sagen. Der Constable an der Tastatur nickte.
»Hallo, Dave«, sagte Brandon.
Woolcott schwang sich auf seinem Stuhl herum und sprang auf, als er sah, wer es war. »Guten Abend, Sir«, erwiderte er.
»Ich war auf dem Weg nach Hause und dachte, ich seh’ mir mal an, wie es so läuft«, log Brandon.
»Nun, Sir, wir stehen ja erst am Anfang. Wir haben Teams zusammengestellt, die in den nächsten Tagen rund um die Uhr arbeiten und alle Einzelheiten dieser Mordfälle in das System eingeben werden. Wir arbeiten auch eng mit dem Team zusammen, das die Hotline-Telefone besetzt. Die meisten der Anrufe dort sind die üblichen Gehässigkeiten und Racheakte sowie paranoides Gequatsche, aber Sergeant Lascelles macht gute Arbeit und sortiert alles Wichtige aus.«
»Ist denn schon irgendwas dabei rausgekommen?«
Woolcott rieb sich mit einer Reflexbewegung über die kahle Stelle auf seinem Kopf; seine zweite Frau behauptete, dieses dauernde Reiben habe in erster Linie zu dem verstärkten Haarausfall geführt. »Ein paar Kleinigkeiten«, antwortete er. »Wir haben die Namen von einigen Typen, die sich an mindestens zwei der in Frage kommenden Nächte in Temple Fields auffällig rumgetrieben haben, und man wird sie verhören. Außerdem bombardieren wir die Zulassungsstellen mit Autonummern von Wagen, die zu den Zeiten der Leichenfunde in der Gegend gesichtet wurden. Inspector Jordan hat ja Gott sei Dank seit dem zweiten Mord Leute darauf angesetzt, die Autonummern im Schwulenviertel zu notieren. Es wird lange dauern, Sir, aber wir werden zum Ziel kommen.«
Wenn er je im Computer auftaucht, dachte Brandon. Er war derjenige gewesen, der eisern darauf bestanden hatte, daß man in diesen Mordfällen das HOLMES -Team einsetzte. Doch dieser Killer war anders als alle anderen, denen er bisher begegnet war oder von denen er gehört hatte. Dieser Killer war überaus vorsichtig.
Brandon verstand nicht viel von Computern, aber eine Aussage war bei ihm haftengeblieben: Gibt man wertlosen Dreck ein, kann auch nur wertloser Dreck wieder rauskommen. Er hoffte inständig, daß er seine Leute nicht mit einem Job beschäftigte, der besser an die Müllabfuhr gegangen wäre.
Carol machte die Augen auf. Ihr Herz klopfte. In ihrem Traum war eine schwere Zellentür hinter ihr zugeschlagen worden, und man hatte sie als Gefangene kalten, vor Nässe tropfenden, fensterlosen Wänden überlassen. Sie war noch verschlafen, und so dauerte es einen Moment, bis sie merkte, daß Nelson nicht wie üblich auf ihren Füßen lag. Sie hörte Schritte nebenan, dann das Klirren eines Schlüsselbunds, der auf den Tisch geworfen wurde. Ein schmaler Lichtschein drang durch die einen Spaltbreit offenstehende Tür, eine Konzession an Nelsons Kommen und Gehen. Sie rollte sich stöhnend auf die Seite und schaute auf die Uhr auf dem Nachttisch. Zehn nach zehn. Michael hatte sie mit dem Krach bei seiner Rückkehr um zwanzig Minuten ihres kostbaren Schlafs gebracht.
Carol taumelte aus dem Bett und schlüpfte in ihren dicken Frotteebademantel. Dann ging sie in das riesige Wohnzimmer, das den größten Teil der im dritten Stock gelegenen Wohnung ausmachte. Ein halbes Dutzend Deckenstrahler, in unterschiedlicher Höhe montiert, tauchten den Raum in ein warmes Licht. Nelson erschien in der Tür zur Küche, tänzelte auf dem blanken Holzboden hin und her, krümmte sich dann zusammen und sprang in einem Satz, der der Gravitationskraft zu widersprechen schien, hoch in die Luft, berührte mit den Vorderpfoten kurz einen kleinen Lautsprecher und landete dann sanft auf dem obersten Brett eines Bücherregals aus hellem Holz. Von dort sah er hochmütig in Carols Richtung, als ob er sagen wollte: Ich wette, das kannst du nicht!
Das Zimmer war etwa zwölf mal acht Meter groß. An einem Ende waren drei kleine Sofas mit Quiltüberwürfen um einen Couchtisch gruppiert. Am anderen Ende stand ein Eßtisch mit sechs Stühlen im Rennie-Mackintosh-Stil. In der Nähe der Sofagruppe befand sich der Fernseher und ein Videogerät auf einem
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