Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
keine Reue, nur Verzweiflung und Angst. Ich hatte diese Szene so oft im Geist durchgespielt. Einerseits triumphierte ich, daß ich den Ablauf so exakt vorausgesehen hatte, daß der Dialog fast identisch war mit dem Szenario, welches ich immer wieder heraufbeschworen hatte. Andererseits überkam mich eine unsägliche Traurigkeit, daß er tatsächlich so schwach und treulos war, wie ich befürchtet hatte. Und da war noch eine dritte Empfindung – ich war fast unkontrollierbar aufgeregt in der Erwartung dessen, was vor mir lag, Liebe oder Tod oder beides.
    »Es ist zu spät für Worte«, erklärte ich, »es ist Zeit, zu handeln. Du hast gesagt, du möchtest, daß wir Liebende werden, aber dein Körper bestätigt das nicht. Vielleicht hast du zuviel Angst. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ein großzügiger, ein liebevoller Mensch. Du wirst das selbst herausfinden können. Ich werde dir eine letzte Chance geben, deinen Treuebruch wiedergutzumachen. Ich lasse dich für eine Weile allein. Wenn ich zurückkomme, erwarte ich, daß du deine Angst unter Kontrolle hast und mir zeigst, wie du wirklich für mich empfindest.«
    Ich ging hinüber zu dem Camcorder, nahm die Kassette heraus, auf der unsere Begegnung aufgezeichnet war, und ersetzte sie durch eine neue. Auf der Treppe drehte ich mich noch einmal um. »Sonst werde ich mich gezwungen sehen, dich für deinen Treuebruch zu bestrafen.«
    »Warten Sie!« heulte er verzweifelt auf, während ich aus seiner Sicht verschwand. »Kommen Sie zurück!« hörte ich noch, als ich die Falltür schloß. Ich nehme an, er hat immer weitergeschrien, aber keines seiner Worte drang mehr an mein Ohr. Ich ging hinauf in Tante Doris’ und Onkel Harrys Schlafzimmer, schob die Kassette in den Recorder, den ich auf eine Truhe am Fußende des Bettes gestellt hatte, schaltete den Fernseher ein und kroch zwischen die kühlen Baumwolltücher auf dem Bett. Auch wenn Adam mich nicht wollte, ich konnte meiner Gier nach ihm nicht entkommen. Ich sah ihn mir an, wie er da auf der Streckbank lag, und ich ließ meiner Hand freien Lauf, streichelte mich mit all der Geschicklichkeit und dem Einfallsreichtum, die ich mir von ihm gewünscht hätte, stellte mir vor, wie sein prachtvoller Schwanz in meinem Mund immer praller wurde. Aber jedesmal, wenn ich kurz vor dem Orgasmus stand, hörte ich auf, riß mich zusammen, zwang mich, nicht zu kommen, mir das für den späteren Höhepunkt unten im Keller aufzusparen. Nachdem ich mir das Videoband viermal angeschaut hatte, meinte ich, daß genug Zeit vergangen war.
    Ich schlüpfte aus dem Bett und ging wieder nach unten. Ich schaute ihn mir an, wie er da gespreizt auf der Streckbank lag. »Bitte«, flehte er, »lassen Sie mich gehen. Ich tue alles, was Sie wollen, aber bitte, lassen Sie mich gehen.«
    Ich lächelte freundlich und schüttelte den Kopf. »Ich werde dich wieder zurück nach Bradfield bringen, Adam. Aber vorher gibt’s noch eine kleine Feier.«

[home]
6
    Die gebildeten Schichten beginnen langsam zu begreifen, daß zur Komposition eines hübschen Mordes mehr gehört als nur zwei Dummköpfe, die morden und sich ermorden lassen – ein Messer – eine geraubte Handtasche – eine dunkle Gasse. Nein, Gentlemen, exakte Planung, geschickte Anordnung, Berücksichtigung von Licht und Schatten, Sinn für Poesie sowie Hingabe an die Sache werden inzwischen als unverzichtbar bei Unternehmungen dieser Art betrachtet.
    H arte Arbeit mochte nicht zur Lösung aller Probleme führen, aber sie war eine großartige Ablenkungstaktik. Tony starrte auf den Bildschirm, noch einmal die von ihm in Tabellenform festgehaltenen Informationen durchgehend, die er den Polizeiberichten entnommen hatte. Er schien alle verwertbaren Fakten berücksichtigt zu haben, und so schaltete er den Drucker ein. Während des Ausdrucks schlug Tony einen anderen Ordner auf und notierte sich sämtliche Folgerungen, die er aus dem Rohmaterial ziehen konnte. Und das alles nur, um die Gedanken an Angelica zu verdrängen.
    Er war so in die Arbeit vertieft, daß er das erste Läuten der Türglocke gar nicht hörte. Beim zweitenmal zuckte er zusammen und schaute auf die Uhr. Fünf nach elf. Wenn es Carol war, war sie früher dran, als er erwartet hatte. Sie waren übereingekommen, daß es wenig Zweck hatte, ihr Unternehmen vor Mitternacht zu starten. Tony erhob sich mit gemischten Gefühlen. Da sie seine Telefonnummer wußte, konnte es nicht schwierig für Angelica sein, auch seine

Weitere Kostenlose Bücher