Das Lied der Sirenen
seine leere Flasche auf den Tresen zu stellen, um ein Stück von Ian abzurücken.
Ian lächelte arrogant. »Warum sollte ich? Die Typen, die der sich greift, gehören nicht zu den Stammgästen in solchen Bars. Also sind das nicht die Orte, wo dieser irre Bastard seine Opfer findet.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich habe die Fotos der Ermordeten in den Zeitungen gesehen, und ich habe keinen einzigen von ihnen jemals in der Szene angetroffen. Und glaub mir, ich kenne die Szene. Deshalb wußte ich ja auch, daß du neu hier bist.« Ian drängte sich wieder näher an Merrick heran, legte die Hand auf seine hintere Hosentasche und ließ die Finger über die darin befindlichen Handschellen gleiten. »He, das fühlt sich interessant an. Ich kriege so langsam eine Vorstellung davon, was uns beiden Spaß machen könnte.«
Merrick zwang sich zu einem Lachen. »Sei vorsichtig, ich könnte ja der Killer sein.«
»Na und?« sagte Ian selbstbewußt. »Ich bin nicht der Typ, auf den dieser verdammte Irre scharf ist. Er mag süßliche Tunten, keine Macho-Männer. Wenn er sich an mich ranmachen würde, wollte er mich ficken, nicht abmurksen. Außerdem, ein gutaussehender Typ wie du braucht niemanden umzubringen, um zu ’nem Fick zu kommen.«
»Nun, kann ja sein, aber woher soll ich wissen, daß du nicht der Killer bist?«
»Ich sag’ dir was, nur zum Beweis, daß ich’s nicht bin – ich lass’ dich heute nacht den Boß spielen. Du hast das Kommando. Ich bin derjenige, der die Handschellen anhat.«
Mach so weiter, und du wirst gar nicht so falsch damit liegen, dachte Merrick. Er langte nach hinten, ergriff Ians Hand und zog sie von seiner Tasche weg. »Ich denke nicht, daß es dazu kommt«, entgegnete er. »Nicht heute nacht. Ich geh’ nicht mit jemandem nach Hause, ehe ich nicht ein bißchen mehr von ihm weiß.« Er ließ Ians Hand los und trat einen Schritt zurück. »War nett, mit dir zu reden, Ian. Und danke für den Drink.«
Ians Gesicht veränderte sich in Sekundenschnelle. Seine Augen wurden zu Schlitzen, sein Lächeln zu einem Zähnefletschen.
»Einen Moment mal, Geordie. Ich weiß ja nicht, in was für jämmerlichen Clubs du sonst verkehrst, aber in dieser Stadt nimmst du nicht von jemandem einen Drink an, wenn du nichts von ihm willst, klar?«
Merrick versuchte einfach wegzugehen, aber die gedrängt vor der Bar stehende Menge ließ das nicht ohne weiteres zu. »Tut mir leid, wenn es ein Mißverständnis gegeben hat«, sagte er.
Ians Arm schoß vor, und seine Hand schloß sich fest um Merricks Oberarm. Bei dem Schmerz, den er empfand, schoß Merrick der Gedanke durch den Kopf, wie es Leute geben konnte, die den Schmerz als Teil ihres sexuellen Vergnügens geradezu suchten. Ian streckte den Kopf so weit vor, daß Merrick seinen schlechten Atem riechen konnte, einen Geruch, den er mit dem Mißbrauch von Amphetaminen in Verbindung zu bringen gelernt hatte. »Es gibt kein Mißverständnis«, sagte Ian. »Du bist heute abend wegen Sex hergekommen. Und deshalb werden wir beide auch Sex miteinander haben.«
Merrick stellte sich auf die Zehenspitzen und stieß Ian den Ellbogen in die Rippen. Ian atmete zischend aus, sein Oberkörper knickte ein, und er ließ reflexartig Merricks Arm los, um die Hände auf die schmerzende Stelle zu legen. »Nein, das werden wir nicht«, sagte Merrick und ging durch die Gasse, die sich wie durch Zauberei gebildet hatte, weg von der Bar.
Auf dem Weg durch den Raum drängte sich einer der Undercover-Officers neben ihn. »Gut gemacht, Sarge«, sagte er aus dem Mundwinkel. »Sie haben das getan, was wir alle schon tun wollten, seit wir hier reingekommen sind.«
Merrick blieb stehen und lächelte den Constable an. »Sie sind hier als verdeckter Ermittler. Entweder Sie tanzen jetzt verdammt noch mal mit mir, oder Sie verpissen sich und lassen sich von einem dieser Arschficker hier anmachen.«
Der Constable blieb mit offenem Mund stehen, während Merrick zur anderen Seite der Tanzfläche ging und sich an die Wand lehnte. Die Aufregung, die er an der Bar hinterlassen hatte, war verklungen. Ian drängte sich durch die Menge, zum Ausgang, Merrick giftige Blicke zuwerfend.
Es dauerte nicht lange, bis Merrick wieder Gesellschaft bekam. Diesmal erkannte er in dem Gesprächspartner einen Detective Constable von einem anderen Dezernat, der nur zu diesem Unternehmen zum Morddezernat abgestellt war. Er schwitzte stark unter dem Gewicht einer dicken Lederjacke und Lederhosen, die verdächtig
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