Das Lied der Sirenen
Genuß abzurunden. Aber ich hatte noch eine Menge Arbeit zu verrichten, ehe ich mich der Entspannung und dem Genuß hingeben konnte. Ich fuhr zum Stadtzentrum, wobei ich darauf achtete, daß ich die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritt, damit man mich nicht deswegen anhielt. Aber ich durfte auch nicht zu langsam sein, da man mich dann hätte verdächtigen können, ein übertrieben vorsichtiger alkoholisierter Fahrer zu sein. Ich schlug die Richtung zum Schwulenviertel hinter der Universität ein. Temple Fields war früher einmal ein Studentenviertel voller kleiner Cafés, Restaurants, Läden und Bars mit niedrigen Preisen und ebenso niedrigem Standard. Dann, vor etwa zehn Jahren, stellten einige der Bars auf Schwulenbetrieb um. Unser linker Stadtrat reagierte auf entsprechenden Druck und gab Zuschüsse für ein Schwulen- und Lesbenzentrum im Keller eines indischen Restaurants. Das hatte einen Dominoeffekt zur Folge, und innerhalb von zwei Jahren war Temple Fields zum Mekka der Homosexuellen geworden. Die heterosexuellen Studenten zogen um nach Greenholm auf der anderen Seite des Campus. Jetzt war Temple Fields gespickt mit Bars, Clubs und auf schick getrimmten Bistros für Homosexuelle sowie mit Läden, die Lederkleidung und SM -Bedarf, vor allem diverse Fesselungsgerätschaften, verkauften.
Um halb zwei am Dienstag morgen waren immer noch einige Männer auf den Beinen. Ich konzentrierte mich auf die Gegend von Crompton Gardens, fuhr zweimal die Strecke ab. Der Platz lag dunkel da, fast alle Straßenlaternen waren dem Vandalismus der Leute zum Opfer gefallen, die ihren Sex lieber im Schutz der Dunkelheit vollzogen, und die Stadt hatte kein Geld für ständige Reparaturen. Außerdem beschwerte sich keiner der anliegenden Geschäftsleute; je dunkler es war, um so beliebter war die Gegend, und das wiederum vergrößerte den Profit.
Ich schaute mich sorgfältig um. Niemand war zu sehen. Dann zerrte ich den Sack aus dem Wagen, schleifte ihn zu der niedrigen Mauer um die Grünfläche in der Mitte des Platzes und ließ ihn zur anderen Seite hinunterfallen, was einen dumpfen Laut verursachte. Anschließend beugte ich mich über die Mauer und schnitt mit meinem Taschenmesser beide Säcke auf. Ich zerrte sie unter der Leiche hervor und zerknüllte sie zu einem Ball.
Kurz nach zwei stellte ich Adams Wagen ein paar Straßen von seinem Haus entfernt ab und ging zu meinem Jeep. Unterwegs steckte ich die Säcke in eine Mülltonne. Um drei lag ich in meinem Bett. Ich hatte den brennenden Wunsch, meine lustvolle Arbeit zu Ende zu bringen, war aber doch zu erschöpft, was mich nicht überraschte, wenn ich die Anstrengung betrachtete, die hinter mir lag. Ich schlief ein, sobald ich das Licht ausgemacht hatte.
Als ich aufwachte, schaute ich auf den Wecker auf dem Nachttisch, dann auf meine Armbanduhr. Ihre Bestätigung mußte ich akzeptieren. Ich hatte dreizehneinhalb Stunden geschlafen. Ich glaube nicht, daß ich jemals so lange an einem Stück geschlafen habe, nicht einmal nach einer Vollnarkose. Ich war stinksauer auf mich, hatte ich mich doch so darauf gefreut, vor meinem Computer zu sitzen und mein Zusammensein mit Adam noch einmal durchleben und genießen zu können, bis es meinen geheimsten Phantasien entsprach. Jetzt aber hatte ich gerade noch Zeit, zu duschen und etwas zu essen.
Auf dem Weg zur Arbeit holte ich mir die neueste Abendausgabe der
Bradfield Evening Sentinel Times.
Man brachte mich auf der zweiten Seite.
NACKTE LEICHE GEFUNDEN
Die verstümmelte Leiche eines nackten Mannes wurde heute morgen in Bradfields Homosexuellenviertel gefunden.
Der städtische Arbeiter Robbie Greaves machte die grausige Entdeckung, als er im Bezirk Crompton Gardens von Temple Fields seinen routinemäßigen Säuberungsarbeiten nachging.
Die Homosexuellenszene der Stadt fürchtet nun, daß dies vielleicht die erste Bluttat eines Schwulen-Serienmörders sein könnte – wie der irre Killer, der vor kurzem Londons Homosexuelle terrorisiert hat.
Die Leiche wurde im Gebüsch hinter der Mauer um die kleine Parkanlage in Crompton Gardens entdeckt, einem bekannten nächtlichen Treffpunkt schwuler Männer, die auf schnelle sexuelle Kontakte aus sind.
Der Ermordete, Ende Zwanzig, konnte bisher noch nicht identifiziert werden. Die polizeiliche Beschreibung lautet: Weißer, 1 , 78 m groß, muskulös, lockiges dunkles Haar und blaue Augen. Keine besonderen Kennzeichen, keine Tätowierungen.
Ein Polizeisprecher sagte: »Die
Weitere Kostenlose Bücher