Das Lied der Sirenen
für einen Durchsuchungsbefehl haben, werden wir ihn beantragen«, entgegnete Brandon. Er wollte natürlich nicht zugeben, daß er bereits einen unorthodoxen Schritt unternommen hatte. Er hatte Sergeant Claire Bonner beauftragt, alle Festnahmen und Verkehrsstrafzettel, die Damien Connolly veranlaßt und ausgestellt hatte, zu überprüfen, angeblich in der vagen Hoffnung, eine Verbindung zu McConnell herstellen zu können. Sie hatte jedoch offenbar die entscheidende Information, auf die er dringend wartete, noch nicht ausgegraben.
»Ich nehme an, das ist alles auf diesen Wunderknaben von Psychologen zurückzuführen«, knurrte Cross. »Wahrscheinlich hat er festgestellt, daß McConnells Kindheit nicht unglücklich genug war.«
Carol biß sich auf die Zunge. Es war peinlich, in diesem Kampf der Titanen die Fliege an der Wand zu sein, aber keiner ihrer Bosse schien wahrzunehmen, daß sie Zeugin der Auseinandersetzung war.
Brandon runzelte die Stirn. »Ich habe Dr.Hill zu Rate gezogen, und ja, er meint, auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse sei McConnell wahrscheinlich nicht unser Mann. Aber das ist nicht der eigentliche Grund, warum ich denke, wir sollten ihn laufen lassen. Der Mangel an Beweisen ist für mich ausschlaggebend.«
»Für mich auch. Deshalb müssen wir weitere auftreiben. Wir müssen diese Arschficker verhören, mit denen er am Montag abend gebechert hat, und rausfinden, in was für einer Verfassung er war. Und wir müssen uns anschauen, was McConnell unter der Matratze versteckt hat.« Cross sprach jetzt sehr selbstbewußt.
»Wir haben ihn erst seit weniger als zwölf Stunden in der Arrestzelle, Sir. Wir sind berechtigt, ihn bis Mitternacht festzuhalten. Dann können wir beim Richter eine Klage wegen tätlicher Mißhandlung oder Körperverletzung einreichen und beantragen, ihn weitere drei Tage in polizeilichem Gewahrsam behalten zu können. Das kriegen wir durch, und das ist alles, was ich will. Sie können nein dazu sagen, Sir, aber die Jungs werden an die Decke gehen.«
Falsch, dachte Carol. Bis dahin hast du dich tapfer geschlagen, aber diese emotionale Erpressung macht alles kaputt.
Brandons Ohren wurden knallrot. »Ich hoffe, niemand denkt, die Arbeit könnte eingestellt werden, nur weil wir einen Verdächtigen verhören«, entgegnete er, und in seinen Worten lag eine gefährliche Schärfe.
»Nein, Sir, aber Sie laufen sich schon sehr lange die Hacken ab, ohne daß in diesem Fall ein Durchbruch erzielt wurde.«
Brandon drehte sich um und sah durch das Fenster auf die Stadt hinunter. Sein Instinkt sagte ihm, daß man McConnell laufen lassen mußte, nachdem man alles versucht hatte, seine Kontakte zu möglichen Verdächtigen aus ihm herauszuquetschen, aber er wußte auch ohne Cross’ plumpe Bemerkungen, daß es den Angehörigen der Sonderkommission neuen Auftrieb gegeben hatte, einen Verdächtigen festgenommen zu haben. Ehe er jedoch eine Entscheidung treffen konnte, klopfte jemand an die Tür. »Ja!« rief Brandon, drehte sich um und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen.
Kevin Matthews steckte seinen roten Lockenkopf herein. Er sah aus wie ein Kind, dem man einen Ausflug nach Disneyland versprochen hat. »Sir«, sagte er, »es tut mir leid, Sie zu stören, aber wir haben gerade einen Laborbericht zum Fall Damien Connolly gekriegt.«
»Dann kommen Sie rein und berichten Sie«, erwiderte Cross freundlich.
Kevin lächelte entschuldigend und trat ein. »Einer der Männer von der Spurensicherung hat an einem Nagel im Tor zum Hinterhof einen Lederfetzen gefunden. Das ist kein öffentlicher Zugang, also dachten wir, daß er vielleicht wichtig ist. Wir mußten natürlich die Mitarbeiter des Pubs und den Bierlieferanten zunächst mal ausschließen. Es hat sich rausgestellt, daß das Tor erst vor knapp einem Monat frisch gestrichen worden ist, so daß wir nicht allzu viele Leute zu überprüfen hatten. Das Ergebnis war, daß keiner der Befragten irgendwas aus solchem Leder besaß. Wir haben dann den Fetzen ins Labor geschickt, und der Bericht ist eben eingetroffen.« Eifrig wie ein Pfadfinder hielt er Brandon den Bericht hin.
Die wichtige Passage war mit gelbem Leuchtstift hervorgehoben. Sie sprang Brandon sofort ins Auge.
»Das Fragment aus dunkelbraunem Leder ist extrem selten in England. Es scheint aus irgendeiner Art von Hirschleder zu bestehen. Bedeutungsvoller ist jedoch das Analyseergebnis, daß dieses Leder in Meerwasser gebeizt worden ist, nicht in einem speziellen
Weitere Kostenlose Bücher