Das Lied der Sirenen
Brandon.
Tony runzelte die Stirn. »Ich dachte, Connolly sei Polizeistatistiker gewesen? Wieso stellte er dann einen Strafzettel wegen eines Verkehrsdelikts aus?«
Brandon schaute Tony über die Schulter. »Das war vor fast zwei Jahren. Anscheinend war Connolly damals noch nicht bei der Datenauswertung eingesetzt. Entweder machte er Dienst bei einer Verkehrskontrolle, oder er war im Streifenwagen unterwegs, als er McConnell dabei erwischte, wie er etwas tat, was er nicht hätte tun dürfen.«
»Kann man das unauffällig nachprüfen?«
»Ja, das läßt sich machen«, antwortete Brandon.
»Dann ist das Problem also gelöst, oder?«
Brandon sah Tony erstaunt an. »Meinen Sie … meinen Sie etwa, das sei der Beweis? McConnell sei unser Mann?«
»Nein, nein«, sagte Tony schnell. »Ich meine nur, wenn es gelingt, das vom anderen Ende her aufzuwickeln, müßte man vor dem Hintergrund, daß McConnell drei der vier Opfer kannte, einen richterlichen Durchsuchungsbefehl erwirken können. Das sieht ja nach mehr als purem Zufall aus.«
»Richtig«, erwiderte Brandon und seufzte dann. »Sie sind also nicht davon überzeugt, daß McConnell der Killer ist?«
Tony stand auf und ging auf dem Teppich hin und her, dessen geometrisches Muster aus grauen, roten, schwarzen und weißen Zacken ihn an die einzige Migräne erinnerte, die er je gehabt hatte. »Bevor Sie dieses Papier gefunden hatten, war ich zu dem Schluß gekommen, daß Sie den falschen Mann im Verdacht haben«, sagte er nach kurzem Zögern. »Ich hatte noch nicht die Zeit, mich hinzusetzen und ein vollständiges Profil des Täters zu erstellen, aber ich hatte eine Vorstellung, was für ein Mensch er sein könnte. Und hier in diesem Haus sind zu viele Dinge, die nicht in dieses Bild passen. Aber es ergibt sich ja jetzt ein geradezu unglaubliches zufälliges Zusammentreffen. Bradfield ist eine große Stadt. Wir haben herausgefunden, daß Stevie McConnell drei der vier Mordopfer kannte oder zumindest mal getroffen hat. Auf wie viele Menschen trifft das wohl zu?«
»Auf nicht viele«, sagte Brandon grimmig.
»Ich kann mich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß McConnell der Killer sein soll, aber es wäre möglich, daß er den Mörder kennt, daß der Mörder Adam Scott und Gareth Finnegan durch McConnell kennengelernt hat«, erklärte Tony. »Vielleicht war der Mörder sogar bei ihm, als er den Strafzettel gekriegt hat, oder er hat ihm bei einer anderen Gelegenheit Damien gezeigt. Sie kennen das ja: ›Das da ist der Bastard, der mir den Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verpaßt hat.‹«
»Sie meinen also eher, daß er nicht der Mörder ist, nicht wahr?« fragte Brandon, und die Enttäuschung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Ich glaube auch, daß wir uns auf dünnem Eis bewegen. Wir haben hier im Haus genaugenommen nichts gefunden, was ihn mit den Morden in Verbindung bringen könnte. Aber Sie sagten ja selbst, daß er die Morde wahrscheinlich woanders begeht. Dort würde er dann sicher auch seine Souvenirs aufheben.«
»Für mich ist nicht nur ausschlaggebend, daß wir hier keine Souvenirs gefunden haben«, sagte Tony. »Um es einfach auszudrücken, John, Serienmörder töten, um ihre Phantasien in die Realität umzusetzen. Dabei ist typisch, daß sie ihre Phantasien so weit entwickelt haben, daß sie ihnen realer vorkommen als die Welt um sie herum. Und hier sind wir auf nichts gestoßen, was uns aufzeigen könnte, daß McConnells Persönlichkeitsstruktur so ausgerichtet ist. Sicher, er hat haufenweise Pornohefte hier rumliegen und Videos, in denen es ausschließlich um Gewaltanwendung geht, aber so was haben Tausende von Teenagern und Erwachsenen auch. Was wir hier vorfinden, sind massenhaft Beweise, daß McConnell kein Soziopath ist. Schauen Sie sich um, John. Dieses Haus stinkt, abgesehen vom schwulen Sadomasochismus, nach Normalität. Im Kalender in der Küche sind Termine eingetragen, zu denen Leute zum Abendessen kommen. Schauen Sie sich den Stapel Weihnachtskarten auf dem Bücherregal an. Es sind mindestens fünfzig. Und die Urlaubsfotos belegen, daß er vier oder fünf Jahre hintereinander mit demselben Partner im Urlaub war, wenn man von den verschiedenen Orten ausgeht. Stevie McConnell scheint keine Probleme zu haben, Beziehungen zu anderen Leuten herzustellen. Okay, wir haben nichts gefunden, das auf Verbindungen zu seiner Familie hinweist, aber viele Schwule werden von ihrer Familie geschnitten, wenn sie sich
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