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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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gewandert ist und merkt, daß er sich wieder auf festem Boden befindet.
    Sie verbrachten den Rest des Essens mit Gesprächen auf dem sicheren Grund ihrer Karrieren, und Carol bat den Ober um die Rechnung, als er das Geschirr abräumte. »Ich übernehme das, okay? Das hat nichts mit Feminismus zu tun, ich kann Sie ganz legitim als dienstlichen Gesprächspartner bei der Steuer geltend machen.«
    Als sie zu Tonys Büro zurückgingen, sagte er: »So, und jetzt erzählen Sie mir von Ihrem Tag.«
    Der schnelle Wechsel von den persönlichen Dingen zum Dienstlichen bestätigte Carol, daß sie sehr ruhig und gelassen mit Tony umgehen mußte. Sie hatte noch nie erlebt, daß jemand so rasch einen beginnenden kleinen Flirt abbrach. Das war erstaunlich, vor allem, nachdem sie spürte, daß er sie mochte. Und sie hatte keine Zweifel daran, daß sie auf Männer anziehend wirkte. Nun, die Ermittlungen gegen Handy Andy gaben ihr wenigstens Gelegenheit, eine Brücke zwischen ihnen zu bauen. »Wir haben heute morgen einen neuen Ansatzpunkt gefunden. Wir hoffen jedenfalls alle, daß es einer ist.«
    Tony blieb abrupt stehen und sah Carol an. »Was für einen neuen Ansatzpunkt?« fragte er barsch.
    »Keine Angst, man hat Sie dabei nicht übergangen«, antwortete Carol besänftigend. »Es wäre bei den meisten Ermittlungen nur ein untergeordnetes Detail, aber weil wir in diesem Fall so wenig in der Hand haben, ist alle Welt ziemlich aufgeregt. Man hat an einem Nagel im Tor zum Hinterhof des Queen of Hearts das Fragment eines Lederfetzens entdeckt. Im Labor hat man dann festgestellt, daß es sich um ein sehr ungewöhnliches Material handelt. Es ist Hirschleder und stammt aus Rußland.«
    »Ach du lieber Himmel!« sagte Tony leise und ging weiter.
    »Lassen Sie mich raten. Man kann dieses Leder nicht in England kaufen, und man muß wahrscheinlich jemanden nach Rußland schicken, um der Sache nachzugehen. Habe ich recht?«
    »Wie zum Teufel können Sie das wissen?« fragte Carol und hielt ihn am Ärmel fest.
    »Ich habe so was erwartet«, antwortete er einfach.
    »Was meinen Sie mit ›so was‹?«
    »Ein hinterlistiges Ablenkungsmanöver des Mörders, welches dazu führt, daß die gesamte Polizei wie ein kopfloses Huhn rumrennt.«
    »Sie meinen, es ist ein Ablenkungsmanöver?« Carol schrie die Worte fast. »Wieso?«
    Tony strich sich mit den Fingern über die Wangen, dann durchs Haar. »Dieser Bursche ist ausgesprochen vorsichtig gewesen. Er ist geradezu besessen davon, keine Spuren zu hinterlassen. Serienmörder haben fast immer einen hohen Intelligenzquotienten, und Handy Andy gehört zu den intelligentesten, die mir je begegnet sind, sowohl persönlich als auch in der Literatur. Doch plötzlich, aus dem Nichts, taucht nicht nur ein Hinweis auf, sondern ein so einmaliger Hinweis, daß er nur mit einer eng begrenzten Gruppe aus der Bevölkerung in Verbindung gebracht werden kann. Und Sie halten das für eine echte Spur? Genau das will er erreichen. Ich wette, die meisten von der Sonderkommission sind den ganzen Tag rumgeirrt und haben versucht, rauszufinden, wo dieses obskure russische Lederstück herstammt, oder nicht? Oh, und sagen Sie es nicht, lassen Sie mich noch mal raten. Ich wette, eine komplette Detective-Gruppe ist damit beschäftigt, Stevie McConnells Leben zu durchforschen, um herauszukriegen, wie er an eine solche Lederjacke gekommen sein könnte.«
    Carol starrte ihn an. Was er da sagte, erschien so überzeugend, so einleuchtend. Aber niemand bei der Sonderkommission war auf den Gedanken gekommen, den Lederfetzen als Ablenkungsmanöver des Mörders zu betrachten.
    »Habe ich recht?« fragte Tony, diesmal nicht so barsch.
    Carol verzog das Gesicht. »Keine ganze Gruppe, nur Don Merrick und ich und ein paar Constables. Ich habe fast den ganzen Tag damit zugebracht, die führenden Leute beim Gewichtheber- und Bodybuilderverband anzurufen und zu fragen, ob McConnell mit einem nationalen oder regionalen Team mal an einem Wettkampf in Rußland oder in England gegen ein russisches Team teilgenommen hat. Und Don und die Constables haben bei Reiseveranstaltern nachgefragt, ob er mal in Rußland Urlaub gemacht hat.«
    »Ach du lieber Gott!« stöhnte Tony. »Und?«
    »Vor fünf Jahren war er mit der Gewichthebermannschaft von Nordwestengland bei einem Wettkampf in Leningrad.«
    Tony atmete tief durch. »Der arme unglückliche Kerl«, sagte er. »Ich muß wohl davon ausgehen, daß keiner von Ihnen auf die Idee gekommen ist, das alles

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