Das Lied der Sirenen
faltete die Zeitung zusammen, trank meinen Cappuccino zu Ende und bat um die Rechnung. Gareth würde jeden Augenblick aus dem Bürogebäude auftauchen und durch die zum allgemeinen Arbeitsschluß überfüllten Straßen zur Straßenbahnhaltestelle gehen. Ich wollte für ihn bereit sein. Ich hatte heute abend etwas ganz Spezielles mit ihm vor, und ich wollte sichergehen, daß er allein zu Hause war, um es auch genießen zu können.
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10
Allgemein gesehen, sind die Menschen ausgesprochen blutrünstig, Gentlemen, und bei einem Mord wollen sie vor allem ein ergiebiges Verströmen von Blut sehen; eine möglichst intensive Zurschaustellung in dieser Hinsicht genügt ihren Ansprüchen. Der aufgeklärte Connaisseur hingegen ist anspruchsvoller in seinem Geschmack.
P enny Burgess füllte ihr Glas aus der Flasche mit kalifornischem Chardonnay, die im Kühlschrank stand, und ging zurück ins Wohnzimmer, um die Nachrichten im lokalen BBC -Programm nicht zu verpassen. Erleichtert hörte sie, daß es nichts Neues gab, über das man beunruhigt sein müßte – ein bewaffneter Raubüberfall, um den sie sich wohl als erstes morgen früh kümmern würde, und die Polizei verhörte weiterhin einen Mann im Zusammenhang mit den Schwulenmorden, aber es war noch keine Anklage gegen ihn erhoben worden. Penny nippte an ihrem Wein und steckte sich eine Zigarette an.
Sie werden bald etwas unternehmen müssen, dachte sie, denn wenn sie morgen früh nicht Anklage gegen den Mann erheben, welcher Art auch immer, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als ihn laufenzulassen. Bisher war die Identität des Verdächtigen noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, was äußerst bemerkenswert war. Die ganze Meute der Journalisten – sie selbst natürlich auch – hatte die persönlichen Verbindungen zu Polizeibeamten spielen lassen, aber diesmal war der Informationstank dicht geblieben, kein Leck hatte sich in ihn bohren lassen. Penny beschloß, vorsichtshalber einen Blick auf die Liste der morgen anstehenden Gerichtsverhandlungen zu werfen. Es bestand immerhin die – wenn auch geringe – Chance, daß die Cops irgend etwas halbwegs Handfestes ausgegraben hatten, um gegen den Verdächtigen Anklage zu erheben, so daß sie ihn eingebuchtet lassen und nach weiteren Beweisen suchen konnten, die eine Anklage wegen der Serienmorde untermauerten.
Als die Nachrichten zum Wetterbericht übergingen, läutete das Telefon auf dem Couchtisch vor ihr. Sie nahm den Hörer ab.
»Hallo?«
»Penny? Kevin hier.«
Halleluja, dachte Penny, richtete sich auf und drückte die Zigarette aus, sagte dann aber nur: »Kevin, mein Süßer, was gibt’s?«
Sie kramte einen Stift und ihr Notizbuch aus der Handtasche.
»Es liegt was an, das dich wahrscheinlich interessiert«, antwortete er vorsichtig.
»Das wäre nicht das erstemal«, erwiderte Penny zweideutig. Ihre gelegentlichen Sexkontakte mit dem verheirateten Kevin Matthews hatten ihr in der Vergangenheit zu mancherlei vertraulicher Information aus dem Bereich der Kriminalpolizei von Bradfield verholfen. Und Kevin war darüber hinaus einer der besten Liebhaber, die sie je gehabt hatte. Sie wünschte nur, sie käme gegen sein katholisches Schuldbewußtsein an, um öfter in den Genuß zu kommen.
»Das ist ernst gemeint«, protestierte Kevin.
»Ich meinte es auch ernst, Superhengst.«
»Nun hör mal, willst du die Information haben oder nicht?«
»Natürlich. Vor allem, wenn es der Name des Typs ist, den ihr wegen der Schwulenmorde festgenommen habt.«
Sie hörte, wie er scharf den Atem einzog. »Du weißt, daß ich dir den nicht nennen kann. Auch zwischen uns beiden gibt es bestimmte Grenzen.«
Penny seufzte. Ja, das war die Crux in ihrer Beziehung. »Okay, was hast du zu bieten?«
»Popeye ist suspendiert worden.«
»Wie, man hat ihm den Fall weggenommen?« fragte Penny aufgeregt. Tom Cross suspendiert?
»Man hat ihn
vom Dienst
suspendiert, Pen. Man hat ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet und ihn nach Hause geschickt.«
»Wer hat das veranlaßt?« Mein Gott, das war ja eine tolle Story! Was hatte Popeye diesmal angestellt? Panik erfaßte sie. Was, wenn man ihn bestraft hatte, weil er einem ihrer Reporterrivalen den Namen des Verdächtigen verraten hatte? Sie überhörte beinah Kevins Antwort auf ihre Frage.
»John Brandon.«
»Und aus welchem Grund, zum Teufel?«
»Damit rückt keiner raus. Aber die letzte Aktion, die er vor dem Treffen mit Brandon startete, war die Durchsuchung
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