Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
würde.«
»Er schickt dich fort, weil er Angst vor dir hat.« Peter griff nach meiner Hand. Trotz seines Kummers flammte in seinen Augen so etwas wie Stolz auf. Aber es mischte sich auch Bedauern in seinen Blick. »Er glaubt, du könntest es überall erzählen, und deshalb will er dich nicht mehr im Dorf haben.«
»Erzählen könntest du es auch«, gab ich zurück, denn wahrscheinlich hatte Peter noch eher als ich begriffen, wer der Wolf in Luises Schlafzimmer gewesen war.
»Aber er weiß, dass ich nicht den Mut dazu hätte. Du hingegen hast keine Angst vor ihm und …«
Ich wusste, dass er sagen wollte, dass ich nichts mehr für unseren Vater empfand. Glücklicherweise vollendete er diesen Satz nicht.
»Du weißt, dass wir uns eine sehr lange Zeit nicht sehen werden«, sagte er stattdessen, worauf ich nickte und mich an ihn schmiegte. »Und dass ich vor Langeweile umkommen werde, wenn du nicht da bist.«
»Du wirst schon nicht umkommen«, entgegnete ich, während ich seine Wange streichelte. »Geh aber Vater aus dem Weg, versprich mir das. Reize ihn nicht unnötig.«
»Keine Sorge. Ich bin die meiste Zeit ohnehin am Gymnasium. Und wenn ich hier bin, habe ich mit meiner Arbeit zu tun.«
»Gut. Ich werde dir schreiben, so oft ich kann, und dir alles berichten, was ich im Lyzeum erlebe.«
Peter lächelte mir versöhnt zu, dann küsste er mich auf die Stirn. »Vielleicht ist es wirklich gut, dass du hier rauskommst. Blumen verkümmern im Dunkeln, weißt du?«
Nach etwas mehr als einer Stunde hatte Philipp Carter seine Betäubung überwunden. Erstaunt blickte er
Marie an.
»Na, wen man nicht alles trifft! Sie sind doch Miss Blumfeld!«
»Ja, die bin ich, Mr Carter. Und ich freue mich, dass Sie sich noch an mich erinnern.«
»Wie könnte ich die Freundin von Onawah vergessen. Sie haben sich ja ziemlich herausgemacht! Inzwischen sind Sie sicher Mrs Reverend Plummer, nicht wahr?«
Marie schüttelte verlegen den Kopf. »Nein, bis jetzt noch nicht.«
»Hat es sich dieser Mistkerl etwa anders überlegt?«
»Nein, die Hochzeit wurde verschoben, weil seine Mutter gestorben ist.«
»Oh, das tut mir leid.«
Schweigen senkte sich auf sie herab, während Enttäuschung in Maries Magengrube kroch.
»Wo zum Teufel bin ich hier eigentlich? Und warum fühle ich mich, als sei ich unter eine Büffelherde gekommen?«
»Erinnern Sie sich nicht mehr an die Schlägerei im Pub?«, fragte Marie besorgt. War einer der Schläge auf seinen Kopf so hart gewesen, dass er sich nur noch an weiter zurückliegende Dinge erinnern konnte?
»Ach die!«, entgegnete er nach kurzem Nachdenken. »Ja, daran erinnere ich mich. Ich glaube, ich habe mich mit einem Burschen geschlagen, der meinte, die Indianer seien nicht viel mehr als Vieh, das geschlachtet gehört.«
Marie zuckte erschrocken zusammen. »Solche Reden schwingen die Männer im Pub?«, fragte sie empört.
»Nicht alle, aber manche. Freunde von Mr Corrigan, die versuchen, die verqueren Meinungen des Bürgermeisters unter die Leute zu bringen. Offenbar haben sie schon Erfolg damit gehabt.«
Marie fiel wieder ein, was Mrs Blake zu ihr gesagt hatte.
»Dieser Mann hätte Sie beinahe totgeschlagen! Vielleicht hätten Sie ihm seine Meinung lassen sollen.«
Carter bezahlte den Versuch, den Kopf zu schütteln, mit einem Schmerz, der ihn die Augen zusammenkneifen ließ.
»Das konnte ich nicht, Miss Blumfeld. Ich kann mein loses Mundwerk nicht halten, und außerdem weiß ich, dass die Indianer nicht schlechter sind als wir. Das Einzige, was uns voneinander unterscheidet, ist die Hautfarbe. Darunter stecken Menschen wie Sie und ich, das müssten Sie doch wissen.«
Marie nickte. »Natürlich weiß ich das. Und glauben Sie mir, ich habe schon versucht, es den Leuten hier klarzumachen. Aber damit bin ich nicht gerade auf Gegenliebe gestoßen. Gerade heute musste ich mir in der Schule anhören, dass ich den Kindern Märchen erzählen würde.«
Ein Lächeln schlich sich auf Philipps Gesicht. »Tun Lehrer das nicht manchmal?«
»Manchmal schon. Aber eigentlich halten wir es stets mit der Wahrheit. Und es ist keine Lüge und auch kein Märchen, wenn ich sage, dass die Cree Menschen wie wir sind, auch wenn sie an andere Götter glauben und andere Bräuche haben.«
»Nein, das ist keine Lüge.«
Bevor er weitersprechen konnte, flog die Tür auf.
»Ah, wie ich sehe, ist unser Patient wieder auf dem Damm!« Dr. Duval rauschte mit wehendem Kittel in den Raum und zog dann seine Uhr aus der
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