Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Donner gerührt.
»Wie kann ich Ihnen dafür nur danken?«, fragte Philipp, während er verlegen seinen Hut in den Händen drehte.
»Danken? Mir?« Marie schüttelte den Kopf. »Das war allein Mr Isbels Idee.«
»Aber hätten Sie mich nicht mit in die Schule genommen, dann hätte er mir wohl kaum dieses Angebot machen können. Und Sie haben mich gelobt.«
»Das war doch …« Philipps Kopfschütteln brachte sie zum Schweigen.
»Ich danke Ihnen aus ganzem Herzen. Sollte es irgendetwas geben, was ich für Sie tun kann …«
Marie legte ihm sanft die Hand vor den Mund. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann zog sie, erschrocken über ihre Kühnheit, die Hand wieder zurück und sagte: »Sie haben so viel für mich getan, als wir unterwegs waren. Ich möchte mir nicht die Lorbeeren anstecken, Ihnen eine Stellung verschafft zu haben. Machen Sie Ihre Arbeit gut, dann sehen wir uns jeden Tag, und Sie können mir mehr aus Ihrem Leben erzählen.«
Lächelnd zog sie sich in ihr Klassenzimmer zurück, in dem sie sich erst einmal an die Wand lehnen musste. Hatte sie ihn wirklich berührt? Ihm den Mund verboten?
Die Finger, die seine Haut berührt hatten, schienen zu brennen. Sie schloss die Augen und hörte irgendwann, wie er zur Haustür ging.
Wann er zurückkehrte, wusste Marie nicht, doch als sie ihr Klassenzimmer verließ, um die Schulglocke zu läuten, stand er auf einmal vor ihr. Er sah vollkommen verändert aus. Das schwarze Haar hatte er sich ebenso wie seinen Bart stutzen lassen, anstelle der verschlissenen Kleider trug er grobe Arbeitshosen und unter seiner dunklen Weste ein tadelloses Hemd.
»Meinen Sie, so geht es?« Offenbar war seine Schüchternheit verflogen, denn er zwinkerte ihr unverhohlen zu.
Marie legte den Kopf schräg und musterte ihn spöttisch von oben bis unten. »Ich denke schon«, sagte sie dann ebenfalls mit einem Zwinkern. »Aber jetzt sollten Sie lieber aus dem Weg gehen, denn wenn ich die Glocke läute, bricht innerhalb weniger Augenblicke das Chaos auf dem Gang aus.«
27. Kapitel
Fortan erwartete Philipp Marie jeden Morgen, wenn sie zur Schule kam. Erstaunt stellte Marie fest, dass er das Schulhaus tadellos in Ordung hielt. Die Böden waren anständig gewienert, die Fenster gut geputzt und Bänke und Stühle abgestaubt. Als er herausfand, welche Materialien Marie für den jeweiligen Tag benötigte, stellte er ihr alles auf einem kleinen Servierwagen bereit, und wenn Kartenmaterial benötigt wurde, war auch das rechtzeitig zur Stelle.
Beim gemeinsamen Frühstück unterhielten sie sich über die Schule, die Armee und Amerika; hin und wieder gab Marie Geschichten aus Deutschland zum Besten. Philipp saß stets mit gestutztem Bart und sauberer Weste am Tisch und lächelte sie über die Tischplatte hinweg fröhlich an.
Marie gefiel das, doch sie ermahnte sich zur Vorsicht. Seinen Ruf nach »Rachel« hatte sie nicht vergessen, und sie wollte nicht, dass er ihretwegen seine Verlobte betrog, oder was immer diese Frau sein mochte. Und sei es nur in seinen Gedanken.
In Aunties Haus wurde die Stimmung zunehmend kühler. Man besprach nur das Nötigste, und auch Jeremy wirkte, als würde er sich von ihr abwenden.
Als ob er sich mir jemals zugewandt hätte, dachte Marie spöttisch. Nach einem Hochzeitstermin wagte sie nicht zu fragen, nicht aus Angst, dass er noch weiter verschoben würde, sondern aus Sorge, dass er schon bald festgesetzt werden könnte.
Um Stella zu beruhigen, kaufte sie von ihrem Gehalt tatsächlich Dinge für ihre Aussteuer: Bettwäsche, Tischtücher und eine zarte, mit rosafarbenen Schleifen verzierte Gardine, die die trostlosen Exemplare an ihren Zimmerfenstern ersetzte. Alles hätte so schön sein können, wenn es diese offensichtliche Kälte zwischen ihr und Jeremy nicht gegeben hätte. Konnte er so schnell das Interesse an einer Frau verlieren, die er nicht einmal kannte? Warum nutzte er nicht die Gelegenheit, sie besser kennenzulernen? Warum redete er nie anders mit ihr als mit einer Frau aus seiner Gemeinde? Hatte George Woodbury letztlich mit seiner Anspielung recht? Immerhin kannten sich die beiden Männer schon viele Jahre …
Eines Nachmittags stürmte Rose vollkommen aufgelöst in ihr Zimmer. Marie schaffte es gerade noch, ihr Tagebuch unter dem Stapel von Aufsätzen zu verbergen, die sie korrigieren musste.
»Du glaubst es nicht!«, kreischte Rose, während sie einen cremefarbenen Umschlag in der Luft herumwedelte.
»Was glaube ich nicht?«, wunderte sich Marie,
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