Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
zwang sich aber zu einem Lächeln. »Ich bin immer ziemlich zeitig in der Schule, Mr Carter. Bevor der Unterricht beginnt, muss ich mich vorbereiten, und im Haus der Tante meines Verlobten habe ich nicht die Muße dazu.«
Carter lächelte breit. »Scheint ein ziemlicher Drache zu sein, die Gute.«
Marie blickte verlegen auf ihren Rocksaum. »Es gefällt ihr nicht sonderlich, dass ich arbeiten gehe.«
»Yeah, der Platz einer Frau ist hinter dem Herd, wie? Ich finde, es sollte mehr Frauen geben, die arbeiten. Da sind die Chancen größer, von einer vor einem wild gewordenen Schläger gerettet zu werden.«
»Und wo wollen Sie jetzt hin?«
»Weiß nicht, irgendwohin. Vielleicht gibt es in der Nähe einen Handelsposten, der einen Handlanger braucht.«
»Warum haben Sie sich eigentlich von Mr Jennings getrennt? Meinungsverschiedenheiten?«
»Nein ich …« Er stockte und spielte nervös an einem Jackenknopf. »Ich dachte, es wird Zeit, was Neues anzufangen.«
»Und da kommen Sie gerade hierher?«
»Es war die größte Stadt in der Gegend. Einer Stadt, deren Einwohner es sich leisten können, Frauen aus Übersee kommen zu lassen, kann es ja nicht schlecht gehen, oder?«
»Sie vergessen, dass nur ein Einwohner sich eine Frau übers Meer hat kommen lassen.«
Carter zuckte mit den Schultern. »Wo ist da der Unterschied?«
»Mr Carter?« James Isbel eilte mit langen Schritten durch den Gang. »Sie wollen doch wohl nicht schon gehen, oder?«
»Doch, das hatte ich eigentlich vor. Sie wollen doch sicher nicht, dass Ihre Kinder vor einem Landstreicher wie mir erschrecken.«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie einen Job gebrauchen können«, überging Isbel Carters Antwort, dann verschränkte er die Hände vor der Brust. »Sie sehen aus wie ein Mann, der anpacken kann. Und da Sie die Pelzhändler nicht mehr begleiten, nehme ich an, Sie haben vor, sich andere Arbeit zu suchen.«
Carter blickte überrascht zu Marie, doch auch für sie kam das Angebot völlig überraschend.
»Ich würde Ihnen gern den Posten als Hauswart anbieten. Bisher mussten Miss Blumfeld und ich allein für Ordnung im Schulhaus sorgen, aber die Zahl der Schüler wird in der nächsten Zeit noch wachsen, sodass uns ein Hauswart eine große Hilfe wäre.«
Während Isbel ihn abwartend ansah, kratzte sich Philipp verwirrt den Kopf. »Warum wollen Sie den Posten gerade mir geben? Ich meine, Miss Blumfeld bringt mich hierher, ich bin blutüberströmt und vollkommen benebelt, und sie bittet für eine Nacht um Asyl für mich. Sie wissen nicht, ob ich den Streit angezettelt habe und was ich sonst noch auf dem Kerbholz habe.«
James Isbel lächelte mild. »Genau das lässt mich Vertrauen zu Ihnen fassen.«
»Wie bitte?«
»Jeder Strolch hätte bei meinem Angebot bedenkenlos zugegriffen, doch Sie warnen mich regelrecht vor sich selbst. Dies hier ist ein sicherer Ort; die Bezahlung ist nicht überragend, aber dafür dürfen Sie in der Schule wohnen. Jeder, dem das Wasser bis zum Hals steht, hätte auf der Stelle angenommen.«
»Wer sagt denn, dass ich das nicht tun würde? Mich wundert nur Ihr Vertrauen in die Welt.«
Isbel lächelte hintergründig. »Ich hatte schon mit vielen Menschen zu tun, Mr Carter. Zwar bin auch ich nicht ohne Fehler, dennoch maße ich mir an, den Charakter eines Menschen erkennen zu können. Und unter Ihrer Oberfläche befindet sich kein schlechter Kern. Nicht wahr, Miss Blumfeld?«
Marie errötete. »Ähm, ich … ich kann auch nur bestätigen, dass Mr Carter ein guter Mann ist. Er hat sich auf dem Weg hierher sehr gut um mich gekümmert.«
Philipp grinste sie breit an. »Also gut, wenn mir hier jedermann bestätigt, was für ein netter Kerl ich bin, nehme ich an.«
»In Ordnung, Mr Carter. Sie können sich in dem kleinen Zimmer vorerst einrichten, Sie haben doch sicher irgendwo noch ein Pferd und vielleicht einen Schlafsack.«
»Ja, Sir.«
»Dann holen Sie alles zusammen. Ich zahle Ihnen nachher einen kleinen Vorschuss auf Ihren Lohn, dann können Sie noch einige Dinge kaufen, die Sie brauchen.«
»Das ist wirklich nicht nötig …«
Isbel ließ keinen Widerspruch gelten. »Doch, es ist nötig, Mr Carter. Da unsere Kinder keinen Schreck vor Ihnen bekommen sollen, erwarte ich, dass Sie den Dienst sauber und ordentlich antreten. Mahlzeiten bekommen Sie oben bei meiner Frau. Der sollten Sie allerdings auch nicht so gegenübertreten.«
Damit wandte er sich um und stieg die Treppe hinauf. Philipp und Marie standen im Gang wie vom
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