Das Lied des Achill
dass sie sich fürchtet. »Du dürftest nicht hier sein«, flüstert sie aufgebracht. »Es ist zu gefährlich. Agamemnon wütet. Er wird dich töten.«
»Weil Achill seine Gesandtschaft zurückgewiesen hat?«, frage ich.
Sie nickt und beeilt sich, den brennenden Kienspan auszublasen. »Agamemnon kommt häufig, um nach mir zu sehen. Du bist hier nicht sicher.« Im Dunkeln kann ich ihr Gesicht nicht erkennen, doch ihre Stimme ist voller Sorge. »Du musst gehen.«
»Ich habe etwas mit dir zu bereden. Es dauert nicht lange.«
»Dann musst du dich verstecken. Er kommt immer ohne Vorwarnung.«
»Wo?« Das Zelt ist klein. Es gibt darin nur eine Pritsche, Kissen, Decken und ein paar Kleidungsstücke.
»Im Bett.«
Sie lässt mich unter Decken verschwinden und legt sich neben mich. Ihr Duft, ihre Wärme und vertraute Nähe hüllen mich ein. Ich flüstere ihr ins Ohr: »Odysseus sagt, dass die Trojaner morgen unser Lager stürmen werden. Wir müssen dich verstecken. Unter den Myrmidonen oder im Wald.«
Ich spüre ihre Wange an meiner. Sie schüttelt den Kopf. »Da werden sie als Erstes nach mir suchen, und wenn sie mich finden, gibt es nur noch mehr Ärger. Es ist besser, ich bleibe hier.«
»Aber was, wenn sie das Lager einnehmen?«
»Dann ergebe ich mich Äneas, dem Vetter Hektors. Es heißt, er sei ein frommer Mann, und sein Vater lebte eine Zeitlang als Hirte in der Nähe meines Dorfes. Wenn nicht bei ihm, werde ich bei Hektor oder einem der anderen Söhne Priamos’ Zuflucht suchen.«
Ich schüttele den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Du darfst dich nicht zeigen.«
»Sie werden mir nichts antun. Ich bin schließlich eine von ihnen.«
Ich komme mir töricht vor. Für sie sind die Trojaner natürlich Befreier und keine Bedrohung. »Verstehe«, hauche ich. »Du wirst dann wieder frei sein. Und vielleicht möchtest du mit –«
»Brisëis!« Die Plane wird beiseitegeworfen. Agamemnon steht im Eingang.
»Ja?« Sie richtet sich auf und gibt acht, dass die Decke, unter der ich liege, nicht verrutscht.
»Mit wem sprichst du?«
»Ich habe gebetet, mein Herr.«
»Im Liegen?«
Durch das dicke Gewebe hindurch sehe ich eine Fackel brennen. Seine Stimme ist so laut, als stünde er direkt neben uns. Ich rühre mich nicht. Wenn er mich hier findet, wird sie dafür bestraft.
»So hat es mir meine Mutter beigebracht, mein Herr.«
»Du solltest es inzwischen besser wissen. Hat dir der Götterjüngling nicht erklärt, wie man betet?«
»Nein, mein Herr.«
»Ich habe ihm heute angeboten, dich zurückzugeben, aber er will dich nicht.« Ich höre den hässlichen Unterton seiner Stimme. »Und wenn er weiterhin auf dich verzichtet, erhebe ich Anspruch auf dich.«
Ich balle meine Hände zu Fäusten. Aber Brisëis sagt nur:
»Ja, mein Herr.«
Ich höre die Zeltbahn fallen. Das Licht verschwindet. Ich rühre mich erst wieder, als Brisëis neben mir ist.
»Du kannst nicht hierbleiben«, sage ich.
»Keine Sorge. Er droht nur. Es gefällt ihm, mir Angst zu machen.«
Ihr nüchterner Tonfall entsetzt mich. Wie kann ich sie jetzt allein lassen? Und doch, wenn ich bleibe, gerät sie in noch größere Gefahr.
»Ich muss gehen«, sage ich.
»Warte.« Sie berührt meinen Arm. »Die Männer –«, sie zögert. »Sie sind zornig auf Achill und geben ihm die Schuld an ihren Verlusten. Agamemnon lässt sie von seinen Dienern anstacheln. Die Seuche ist fast vergessen. Und je länger sich Achill verweigert, desto mehr wird man ihn hassen.« Ich fürchte nichts mehr, als dass sich Phoinix’ Mahnung bewahrheitet. »Wird er den Kampf wieder aufnehmen?«
»Erst dann, wenn sich Agamemnon entschuldigt.«
Sie beißt sich auf die Lippen. »Auch die Trojaner fürchten und hassen niemanden mehr als unseren Freund. Wenn sie morgen Gelegenheit dazu finden, werden sie ihn töten, und mit ihm alle, die ihm lieb und teuer sind. Du musst dich vorsehen.«
»Er wird mich beschützen.«
»Ich weiß, das wird er«, sagt sie, »solange er lebt. Aber nicht einmal Achill kann es mit Hektor und Sarpedon gleichzeitig aufnehmen.« Sie zögert wieder. »Wenn das Lager fällt, werde ich behaupten, du seist mein Gatte. Vielleicht hilft das. Vorausgesetzt, du verschweigst, was er für dich bedeutet. Es wäre dein Todesurteil, wenn du dich offenbaren würdest.« Sie hielt meinen Arm umklammert. »Versprich es mir.«
»Brisëis«, sage ich. »Wenn er tot ist, was ist dann mein Leben noch wert?«
Sie drückt meine Hand an ihre Wange. »Dann versprich mir etwas
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