Das Lied des Achill
wäscht mir das Blut und den Schmutz von der Haut, so sanft, als badete sie einen Säugling und säuberte nicht einen leblosen Leib. Achill betritt das Zelt, und ihre Blicke begegnen sich über meinem Leichnam.
»Lass von ihm ab«, sagt er schroff.
»Ich bin gleich fertig. Er hat es nicht verdient, im Schmutz zu liegen.«
»Nimm deine Hände weg!«
Ihre feuchten Augen blitzen. »Glaubst du, du seist der Einzige, der ihn geliebt hat?«
»Raus, verschwinde!«
»Ist er dir tot lieber als lebendig?«, fragt sie mit bitterer Stimme. »Wie konntest du ihn gehen lassen? Du wusstest, dass er nicht kämpfen kann.«
Achill schreit und wirft eine Schale zu Bruch. »Raus!«
Brisëis verzieht keine Miene. »Töte mich. Ihn bringst du damit nicht zurück. Er war zehnmal wertvoller als du. Zehnmal. Und du schickst ihn in den Tod.«
Er stößt einen Laut aus, der nicht mehr menschlich zu nennen ist. »Ich habe ihn aufzuhalten versucht. Ich habe ihm gesagt, er soll den Strand nicht verlassen.«
»Er ist deinetwegen in den Kampf gezogen.« Brisëis tritt auf ihn zu. »Um dich und deinen Ruf zu retten, an dem dir so viel liegt. Weil er nicht mit ansehen konnte, wie du leidest.«
Achill schlägt die Hände vors Gesicht, doch sie lässt sich nicht erweichen. »Du hast ihn nicht verdient, und mir ist ein Rätsel, wie er dich lieben konnte. Du hast doch nur dich selbst im Sinn.«
Achill hebt den Blick. Sie hat Angst, weicht aber nicht zurück. »Ich hoffe, Hektor tötet dich.«
Der Atem kratzt in seiner Kehle. »Das hoffe ich selbst«, stößt er hervor.
Er weint, als er mich auf unser Bett hebt. Es ist heiß im Zelt, und bald wird sich Leichengeruch ausbreiten. Er scheint sich nicht daran zu stören, hält mich die ganze Nacht in seinen Armen und presst meine kalten Hände auf seinen Mund.
Im Morgengrauen kehrt seine Mutter zurück mit Schild, Schwert und bronzenem Brustpanzer, gerade erst geschmiedet, denn er ist noch warm. Wortlos betrachtet sie ihn, als er sich rüstet.
Ohne auf Automedon oder seine Myrmidonen zu warten, läuft er den Strand entlang, vorbei an den Griechen, die zu ihren Waffen greifen und folgen. Sie wollen sich nicht entgehen lassen, was nun bevorsteht.
»Hektor!«, brüllt er. »Hektor!« In unaufhaltsamer Wut durchbricht er die vorrückenden Reihen der Trojaner, und noch ehe diejenigen, die er niedergestreckt hat, zu Boden gegangen sind, ist er schon weiter. Das Gras, ausgedünnt nach zehn Jahren Krieg, trinkt das Blut von Prinzen und Königen.
Doch Hektor weicht ihm aus und taucht immer wieder unter im Gewimmel. Ihm scheinen die Götter zu helfen, und niemand nennt ihn einen Feigling. Den Zweikampf würde er nicht überleben. Er trägt Achills Rüstung, unverkennbar am Gepräge des Phönix auf der Brustplatte, die neben meiner Leiche lag. Die Männer starren den beiden nach. Es scheint fast, als jagte Achill sich selbst hinterher.
Hektor rennt auf den Skamander zu, den breiten Fluss vor Troja. Wegen des gelben Gesteins, für das Troja bekannt ist, schimmert sein Wasser milchig golden.
Heute hingegen ist es schlammig und rot verfärbt. Hektor stürzt sich in die Wellen und schwimmt durch das Treibgut aus Helmen und Leichen. Er erreicht das andere Ufer. Achill setzt ihm nach.
Plötzlich steigt eine Gestalt aus dem Fluss und versperrt ihm den Weg. Schmutziges Wasser rinnt über die muskulösen Schultern, tropft aus einem schwarzen Bart. Er ist größer als der größte aller Sterblichen und strotzt vor Kraft. Er liebt das trojanische Volk, das ihm im Sommer Wein opfert und seine Fluten mit Blumengirlanden schmückt. Fromm wie kein anderer ist Hektor, der Prinz von Troja.
Achills Gesicht ist blutverschmiert. »Du hältst mich nicht zurück.«
Der Flussgott Skamander hebt eine mächtige Keule, so groß wie ein Baumstamm. Achill hat nur sein Schwert. Seine Speere stecken in gefallenen Kriegern.
»So leichtfertig setzt du dein Leben aufs Spiel?«, fragt der Gott.
Nein. Bitte . Aber ich habe keine Stimme. Achill steigt in den Fluss und hebt sein Schwert.
Der Gott holt mit der Keule zum Schlag aus. Achill duckt sich und entgeht auch dem zweiten Hieb, von Fäusten geführt, die so groß sind wie Kälber. Wieder auf den Beinen, stößt Achill sein Schwert auf die ungeschützte Brust des Gottes. Doch der lässt die Klinge, die bislang noch nie ihr Ziel verfehlt hat, wirkungslos an sich abprallen.
Der Gott greift an. Seine Schläge zwingen Achill durch das Treibgut zurück ans Ufer. Er bewegt seine
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