Das Lied des Achill
hob Achill die Hand und lüftete den Schleier von den Haaren. Dann riss er sein Gewand auf und entblößte seine Brust. Sie schimmerte golden im flackernden Feuerschein.
»Es reicht, Mutter«, sagte er.
Ihre Miene zuckte wie unter Krämpfen. Ich fürchtete schon, sie würde über ihn herfallen. Stattdessen aber fixierte sie ihn nur aus diesen kalten schwarzen Augen.
Achill wandte sich an Lykomedes. »Meine Mutter und ich haben dich getäuscht. Ich bitte dich dafür um Entschuldigung. Ich bin Prinz Achill, Sohn des Peleus. Sie wollte verhindern, dass ich in den Krieg ziehe, und hat mich hier als eine deiner Pflegetöchter versteckt.«
Lykomedes schluckte und schwieg.
»Wir werden jetzt aufbrechen«, erklärte Achill.
Seine Worte rüttelten Deidameia aus ihrer Schockstarre. »Nein«, rief sie mit anschwellender Stimme. »Das kannst du nicht. Wir sind verheiratet. Du bist mein Gemahl. Deine Mutter hat es so verfügt.«
Lykomedes rang keuchend nach Luft. Seine Augen waren allein auf Thetis gerichtet. »Ist das wahr?«, fragte er.
»Es ist wahr«, antwortete die Göttin.
Mein Herz drohte auszusetzen. Achill wollte mir etwas sagen, doch seine Mutter kam ihm zuvor.
»Du bist jetzt an uns gebunden, König Lykomedes. Achill wird weiterhin unter deinem Schutz bleiben, und du verrätst niemandem, wer er ist. Im Gegenzug darf sich deine Tochter dereinst rühmen, meinen Sohn zum Gemahl zu haben.« Ihr Blick wanderte auf einen Punkt über Deidameias Kopf und wieder zurück. »Das ist mehr, als sie erhoffen konnte.«
Lykomedes strich sich über den Hals, als versuchte er die Falten zu glätten. »Mir bleibt keine Wahl«, sagte er, »und das wisst ihr.«
»Und was, wenn ich nicht schweigen werde?« Deidameia war hochrot im Gesicht. »Ihr habt mich ruiniert, du und dein Sohn. Ich habe ihm beigewohnt, wie du es von mir verlangt hast, und jetzt bin ich entehrt. Ich erhebe Anspruch auf ihn, auch vor Gericht.«
Ich habe ihm beigewohnt.
»Du bist ein törichtes Mädchen«, sagte Thetis, und jedes Wort fiel wie ein scharfes Beil. »Armselig und gewöhnlich, im besten Falle nützlich. Du hast meinen Sohn nicht verdient, und wenn du von dir aus keinen Frieden gibst, werde ich dafür sorgen.«
Deidameia wich zurück. Ihre Lippen waren weiß, die Augen weit aufgerissen. Mit zitternder Hand fuhr sie sich an den Bauch und bohrte die Finger ins Gewebe ihres Kleides. Draußen, jenseits der Klippen, war das Donnern einer wütenden Brandung zu hören.
»Ich bin schwanger«, flüsterte die Prinzessin.
Ich blickte Achill an, als sie dies sagte, und sah sein Entsetzen. Lykomedes gab einen Schmerzenslaut von sich.
Meine Brust war wie ausgehöhlt und eierschalendünn. Genug . Ich weiß nicht mehr, ob ich dieses Wort nur gedacht oder auch laut ausgesprochen hatte. Ich ließ Achills Hand los und ging zur Tür. Thetis muss mir wohl den Weg frei gemacht haben; anderenfalls wäre ich in sie hineingelaufen. Ich eilte ins Dunkel hinaus.
»Warte!«, rief Achill. Er brauchte überraschend lange, um zu mir aufzuschließen. Das Kleid behindert ihn , dachte ich. Er packte mich am Arm.
»Lass los«, sagte ich.
»Bitte, warte. Lass mich erklären. Ich wollte nicht, dass es dazu kommt. Meine Mutter –« Er war außer Atem und schnappte nach Luft. Ich hatte ihn noch nie so aufgebracht gesehen.
»Sie hat das Mädchen in meine Kammer geführt. Ich wollte es nicht. Aber meine Mutter sagte – sie sagte –« Er stolperte über seine Worte. »Sie sagte, wenn ich mich auf das Mädchen einließe, würde sie dir verraten, wo ich bin.«
Ich fragte mich, was Deidameia erwartet hatte, als sie ihre Frauen für mich tanzen ließ. Hatte sie tatsächlich geglaubt, ich würde ihn nicht erkennen? Ich hätte ihn auch mit geschlossenen Augen wiedererkannt, an seinem Duft, an seinen Schritten. Selbst im Tod und am Ende der Welt würde ich ihn wiedererkennen.
»Patroklos.« Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen. »Hörst du mir überhaupt zu? Bitte, sag etwas.«
Ich sah die beiden vor mir, eng umschlungen, und konnte nicht aufhören, daran zu denken. Ich erinnerte mich an die langen Tage und Nächte voller Trauer um ihn, an mein verzweifeltes Sehnen.
»Patroklos?«
»Du hast es umsonst getan.«
Meine Stimme schien ihm Angst zu machen. Aber wie hätte sie anders klingen können?
»Was soll das heißen?«
»Nicht deine Mutter hat mir gesagt, wo du bist, sondern Peleus.«
Er wurde bleich und schien auf einmal blutleer. »Sie hat es dir nicht
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