Das Lied des Achill
gesagt?«
»Natürlich nicht. Hast du tatsächlich erwartet, sie würde ihr Versprechen halten?«, entgegnete ich schärfer als beabsichtigt.
»Ja«, flüsterte er.
Es gab jede Menge, was ich ihm um die Ohren hätte werfen mögen, zum Beispiel dass er schon immer viel zu leichtgläubig gewesen sei, dass er, begünstigt, wie er war, kaum etwas zu befürchten gehabt habe. Vor unserer Freundschaft hatte ich ihn fast dafür gehasst, und ein Funke der alten Wut flammte wieder in mir auf. Jeder wusste doch, dass Thetis nur eigennützige Zwecke verfolgte. Wie konnte er so töricht und naiv gewesen sein?
All diese Worte lagen mir auf der Zunge, doch sie wollten mir nicht über die Lippen kommen. Seine Wangen waren vor Scham gerötet und seine Augen wirkten müde. Die Vertrauensseligkeit gehörte zu ihm, wie auch seine Hände und Füße Teil von ihm waren. Und trotz meines Schmerzes wollte ich um keinen Preis der Welt, dass er sich veränderte und so zaghaft und furchtsam wäre wie alle anderen.
Er betrachtete mich aufmerksam und las in meinem Gesicht wie die Auguren die göttlichen Zeichen. Die kleine Falte zwischen seinen Brauen zeugte von angestrengter Konzentration.
Etwas geriet in mir in Bewegung wie die gefrorene Wasseroberfläche des Apidanos im Frühling. Mir war aufgefallen, wie er Deidameia anschaute oder, richtiger gesagt, wie er sie nicht anschaute. Ähnlich hatte er auf die Jungen in Phthia reagiert. Mich dagegen hatte er noch nie so teilnahmslos angesehen.
»Verzeih mir«, sagte er wieder. »Ich wollte es nicht. Es hat – mir nicht gefallen.«
Seine Worte linderten auch den Rest meines Kummers, der mich befallen hatte, als Deidameia seinen Namen gerufen hatte. Mir steckte ein Kloß in der Kehle, und ich war den Tränen nahe. »Es gibt nichts zu verzeihen«, sagte ich.
Am Abend kehrten wir zur Burg zurück. Es war dunkel in der großen Halle, in der Feuerstelle glimmten nur noch Reste von Glut. Achill hatte sein Kleid notdürftig zusammengebunden, doch an der Hüfte klaffte immer noch ein Riss. Er hielt das Tuch gerafft für den Fall, dass uns eine der Wachen begegnete.
Plötzlich tönte eine Stimme aus dem Dunkel. Wir erschraken.
»Ihr seid zurückgekehrt.« Das Mondlicht reichte nicht bis zu den Thronen, doch wir konnten die Umrisse einer Gestalt in dicken Fellen erkennen. Die Stimme des Königs klang tiefer, schwerer.
Ich bemerkte, dass Achill mit seiner Antwort ein wenig zögerte. »Ja, das sind wir.« Er hatte nicht damit gerechnet, Lykomedes so bald wiederzusehen.
»Deine Mutter ist gegangen, ich weiß nicht, wohin.« Der Alte legte eine Pause ein, als erwartete er eine Antwort.
Achill sagte nichts.
»Meine Tochter, deine Gemahlin, ist in ihrer Kammer und weint. Sie hofft, dass du zu ihr kommst.«
Ich spürte, wie sehr meinen Freund das schlechte Gewissen quälte, ein Gefühl, das er kaum kannte.
»Es ist bedauerlich, denn sie hofft vergebens«, murmelte er.
»Ja, das ist es«, erwiderte Lykomedes.
Wir standen eine Weile schweigend da. Der Alte atmete schwerfällig. »Ich vermute, du wünschst eine Kammer für deinen Freund.«
»Ja, wenn du nichts dagegen hast«, antwortete Achill vorsichtig.
Lykomedes lachte leise. »Nein, Prinz Achill, ich habe nichts dagegen.« Es wurde wieder still. Ich hörte, wie der König einen Becher hob, trank und ihn zurück auf den Tisch stellte.
»Das Kind muss deinen Namen tragen. Verstehst du das?« Darauf hatte er gewartet, dies zu sagen, unter seinen Fellen im Licht der letzten Feuersglut.
»Ich verstehe«, antwortete Achill ruhig.
»Schwörst du es?«
Der alte König tat mir leid, und ich war froh, dass Achill nach kurzem Zögern sagte: »Ich schwöre.«
»Gute Nacht euch beiden.«
Wir verbeugten uns und gingen.
Achill fand einen Wachposten und forderte ihn auf, uns ins Gästequartier zu führen. Er sprach mit heller, mädchenhafter Stimme. Ich sah, wie der Mann ihn von Kopf bis Fuß musterte und den Riss in seinem Kleid bemerkte. Er grinste breit.
»Komm mit, Fräulein«, sagte er.
In unseren Geschichten heißt es, dass Götter die Macht haben, den Mond in seinem Lauf aufzuhalten und eine Nacht beliebig lang sein zu lassen, wenn sie es wünschen. Es musste eine solcher Nächte gewesen sein, denn sie schien nicht enden zu wollen. Wir holten nach, was wir in den Wochen der Trennung hatten missen müssen, und erst als schon der Morgen graute, erinnerte ich mich wieder an das, was Achill zu Lykomedes gesagt hatte. Es war über Deidameias
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