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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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schon fast erreicht hatten. Vorsichtig schob sich das Schiff durch die enge Einfahrt. Die Seemänner standen an der Reling und hielten die Luft an, als der Rumpf an den felsigen Ausläufern vorbeistrich. In der Bucht selbst war das Wasser spiegelglatt, und die Männer mussten sich in die Riemen legen, um die Anlegestelle zu erreichen, ein schwieriges Manöver, so dass ich mich fragte, wie der Kapitän sein Schiff jemals wieder hinaus aufs Meer würde steuern können.
    »Du bist am Ziel«, sagte er mürrisch. Ich war bereits auf dem Weg zur Landungsbrücke.
    Vor mir ragte eine steile Felswand auf, durch die ein stufiger Pfad hinauf zur Burg führte. Ich machte mich auf den Weg bergan und erreichte eine Anhöhe, auf der zwischen kümmerlichen Bäumen ein paar Ziegen weideten. Die Burg war ein schlichter, unansehnlicher Bau aus Holzbalken und Feldsteinen. Wäre es nicht das einzige Haus weit und breit gewesen, hätte ich kaum für möglich gehalten, dass dort ein König wohnte. Ich ging zur Tür und trat ein.
    Die Halle war eng und düster und es roch nach Küchenresten. Am anderen Ende standen zwei verwaiste Thronstühle. An einem Tisch hockten mehrere Wachen, die sich die Zeit mit Würfeln vertrieben. Sie blickten auf.
    »Was willst du?«, fragte einer.
    »Ich bin gekommen, um König Lykomedes zu sprechen«, antwortete ich und hob das Kinn, um ihnen weiszumachen, dass sie es mit einer bedeutenden Person zu tun hatten. Ich trug den besten Rock, den ich hatte finden können – einen von Achill.
    »Ich gehe«, sagte einer zu den anderen. Er ließ die Würfel scheppernd fallen und schlurfte davon. Peleus hätte ein so liederliches Verhalten nicht zugelassen; er behandelte seine Männer gut und erwartete Gleiches im Gegenzug. Die Wachen hier in der Halle machten einen heruntergekommenen, armseligen Eindruck.
    Der Mann kehrte zurück. »Komm«, sagte er. Ich folgte ihm mit klopfendem Herzen, bereit, die Worte vorzutragen, die ich mir längst zurechtgelegt hatte.
    »Hier herein.« Er deutete auf eine geöffnete Tür und machte kehrt, um mit seinen Kumpanen wieder zu würfeln.
    Ich trat über die Schwelle. Vor einem heruntergebrannten Feuer saß eine junge Frau.
    »Ich bin Prinzessin Deidameia«, erklärte sie mit heller, kindlicher Stimme, die erschreckend laut durch den Raum hallte. Sie hatte eine kleine spitze Nase und ein scharf geschnittenes Gesicht, das mich an einen Fuchs erinnerte. Dass sie hübsch war, schien sie zu wissen.
    Ich besann mich auf meine höfischen Manieren und verbeugte mich. »Ich bin ein Fremder, gekommen, um deinen Vater um eine Gefälligkeit zu bitten.«
    »Worum handelt es sich?« Sie lächelte und neigte den Kopf ein wenig. Sie war überraschend zierlich. Wenn sie aufgestanden wäre, hätte sie mir wahrscheinlich nur bis zu den Schultern gereicht. »Mein Vater ist alt und krank. Du kannst deine Bitte auch mir vortragen. Ich werde darüber befinden.« Sie nahm eine herrschaftliche Pose an und achtete darauf, das Licht des Fensters im Rücken zu haben.
    »Ich suche einen Freund.«
    »Aha.« Sie zog eine Braue in die Stirn. »Und wer ist dein Freund?«
    »Ein junger Mann«, antwortete ich vorsichtig.
    »Verstehe. Wir hätten da ein paar zur Auswahl«, erwiderte sie in spöttisch heiterem Ton. Ihre dunklen Haare fielen in dichten Locken bis auf den Rücken herab. Sie schüttelte den Kopf ein wenig, um es schwingen zu lassen, und lächelte wieder. »Wäre es nicht angebracht, du sagtest mir erst einmal, wie du heißt?«
    »Cheironides«, sagte ich. Sohn des Cheiron .
    Sie rümpfte die Nase über den seltsamen Namen.
    »Cheironides. Und?«
    »Ich suche einen Freund. Er stammt aus Phthia und ist vermutlich vor rund einem Monat hier eingetroffen.«
    In ihren Augen blitzte etwas auf. Oder bildete ich mir das bloß ein? »Und warum suchst du ihn?«, fragte sie nicht mehr ganz so heiter, wie mir schien.
    »Ich habe eine Nachricht für ihn.« Ich wünschte, man hätte mich vor den alten, kranken König geführt anstatt zu ihr. Ihr Mienenspiel war überaus lebhaft. Sie verunsicherte mich.
    »Hmmm. Eine Nachricht.« Sie schmunzelte verschmitzt und tippte sich mit einer Fingerspitze aufs Kinn. »Eine Nachricht für einen Freund. Und warum sollte ich dir verraten, ob mir dieser junge Mann bekannt ist?«
    »Weil du eine gütige Prinzessin bist und ich ein bescheidener Gast.« Ich kniete nieder.
    Das schien ihr zu gefallen. »Nun, vielleicht kenne ich ihn, vielleicht aber auch nicht. Ich muss darüber nachdenken.

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