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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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tatsächlich Achill – ließ Deidameias Hand fallen, sprang freudig auf mich zu und warf sich mir mit solcher Wucht um den Hals, dass ich fast rücklings zu Boden gestürzt wäre. Deidameia schrie »Pyrrha!« und brach in Tränen aus. Lykomedes, der weniger altersschwach war, als es mir seine Tochter weiszumachen versucht hatte, stand auf.
    »Pyrrha!«, schrie sie wieder. »Was hat das zu bedeuten?«
    Ich hörte kaum hin. Achill und ich lagen uns in den Armen, schwindelnd vor Erleichterung.
    »Meine Mutter«, flüsterte er, »sie –«
    »Pyrrha!« Diesmal war es Lykomedes, dessen Stimme über das Schluchzen seiner Tochter hinweg durch den Raum schallte. Er rief Achill, wie ich erst jetzt bemerkte. Pyrrha . Feuerschopf.
    Achill nahm keine Notiz von ihm. Deidameia klagte umso lauter, worauf der König alle Höflinge, Männer wie Frauen, aufforderte, die Halle zu verlassen. Widerwillig gehorchten sie und schauten im Hinausgehen immer wieder zurück.
    Lykomedes kam auf uns zu. Ich sah ihm zum ersten Mal in die Augen, die überraschend scharf blitzten. Seine Haut war gelblich, und der graue Bart hing ihm wie ein schmutziges Vlies vom Gesicht. »Wer ist dieser Mann, Phyrrha?«
    »Ein Niemand!«, fuhr Deidameia dazwischen. Sie hatte Achills Arm ergriffen und versuchte, ihn wegzuzerren.
    Achill aber blieb ungerührt und antwortete gelassen: »Mein Mann.«
    Ich schloss meine Lippen, um nicht auszusehen wie ein nach Luft schnappender Fisch.
    »Nein, das kann nicht wahr sein!«, schrie Deidameia und schreckte mit ihrer Stimme die im Gebälk nistenden Vögel auf. Federn schwebten von der Decke herab. Vielleicht hätte sie noch mehr gesagt, sie weinte jedoch so heftig, dass sie nicht mehr sprechen konnte.
    Lykomedes wandte sich mir zu, als suchte er Zuflucht im Gespräch von Mann zu Mann. »Ist das wahr?«
    Achill drückte meine Hand.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Nein!«, kreischte die Prinzessin.
    Achill achtete nicht darauf, dass sie an seinem Arm zerrte, und verneigte sich höflich vor Lykomedes. »Mein Mann ist gekommen, um mich abzuholen. Wir werden deinen Hof nun verlassen. Danke für deine Gastlichkeit.« Achill deutete einen Knicks an. Mir fiel auf, dass er diese Bewegung sehr anmutig vollführte.
    Lykomedes hob wie zur Abwehr die Hand. »Wir werden zuerst deine Mutter fragen müssen, ob sie einverstanden ist. Sie hat dich mir anvertraut. Weiß sie, dass du einen Gatten hast?«
    »Nein!«, kreischte Deidameia wieder.
    »Tochter!« Lykomedes verzog die Miene auf ganz ähnliche Weise wie sie. »Benimm dich und lass endlich Pyrrha los!«
    Ihr Gesicht war fleckig und tränennass. Ihre Brust ging keuchend auf und ab. Sie wandte sich an Achill. »Lügner! Du hast mich betrogen. Monstrum! Apathes! « Herzloser .
    Lykomedes erstarrte. Achills Finger schlossen sich noch fester um meine Hand. Ihre Wortwahl musste nun auch für den König Pyrrhas wahres Geschlecht enthüllen.
    »Was soll das heißen?«, fragte Lykomedes bedrohlich langsam.
    Deidameia war plötzlich kreidebleich geworden. Doch trotzig hob sie ihr Kinn, und ihre Stimme zitterte nicht.
    »Er ist ein Mann «, sagte sie. Und dann: »Wir sind verheiratet.«
    »Was?« Lykomedes griff sich an den Hals.
    In mir krampfte sich alles zusammen. Achills Hand war das Einzige, was mir noch Halt gab.
    »Tu das nicht«, sagte Achill zu ihr. »Bitte.«
    Sie schien noch mehr in Wut zu geraten. »Oh doch!« Und an ihren Vater gerichtet: »Du bist ein Narr. Ich bin die Einzige, die es wusste, von Anfang an.« Sie schlug sich vor die Brust. »Und jetzt werde ich es allen sagen. Achill!« Sie schrie, als wollte sie den Namen durch die steinernen Mauern schleudern, bis hin zu den Göttern. »Achill! Ich sage es allen!«
    »Das wirst du nicht tun.« Die Worte waren kalt und messerscharf und durchschnitten die Schreie der Prinzessin mit Leichtigkeit.
    Ich kenne diese Stimme . Ich drehte mich um.
    Auf der Schwelle stand Thetis. Ihr Gesicht glühte weiß-blau wie eine Flamme über dem Docht einer Kerze und ließ die Augen umso schwärzer erscheinen. Sie war größer, als ich sie je gesehen hatte. Die Haare glänzten wie immer. Sie trug ein wunderschönes Gewand, wirkte aber dennoch so wild, als tobte ein unsichtbarer Sturm um sie herum. Sie sah aus wie eine jener Erinnyen, jener Rachegöttinnen, die die Menschen mit Vergeltung strafen. Ich hatte den Eindruck, als würde sich mir die Kopfhaut vom Schädel lösen, und sogar Deidameia verstummte.
    Wir standen da und starrten sie an. Plötzlich

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