Das Lied des Achill
Beim Abendessen lasse ich dich wissen, wie ich mich entschieden habe. Wenn du Glück hast, werde ich sogar für dich tanzen. Mit meinen Frauen.« Sie reckte plötzlich ihren schlanken Hals. »Hast du schon einmal von Deidameias Tänzerinnen gehört?«
»Leider nein.«
Sie schmollte. »Könige schicken ihre Töchter hierher und empfehlen sie unserer Pflege an. Das wissen alle, nur du nicht.«
Ich verbeugte mich reumütig. »Ich habe die vergangenen Jahre in den Bergen zugebracht und von der Welt nicht viel gesehen.«
Sie runzelte die Stirn und winkte dann mit der Hand in Richtung Tür. »Wir sehen uns bei Tisch, Cheironides.«
Den Nachmittag verbrachte ich im staubigen Burghof. Der Königssitz befand sich auf der höchsten Stelle der Insel und bot einen weiten Ausblick, der allerdings nicht gerade schön zu nennen war. Ich versuchte mich an das zu erinnern, was ich über Lykomedes gehört hatte. Er war, wie es hieß, ein freundlicher Mensch, aber ein schwacher König mit beschränkten Mitteln. Die Inselmächte Euböa im Westen und Ionien im Osten trachteten danach, sein Land in Besitz zu nehmen, und es war abzusehen, dass über kurz oder lang ein Krieg ausbrechen würde. Wenn bekannt würde, dass hier eine Frau herrschte, käme es wohl schon sehr bald dazu.
Als die Sonne unterging, kehrte ich in die Halle zurück. Fackeln waren entzündet worden, doch sie schienen die Düsternis nur noch zu verstärken. Deidameia trug einen goldenen Reif im Haar und führte einen alten Mann in den Raum. Er war vornübergebeugt und so dick in Felle gehüllt, dass man den Körper darunter nur erahnen konnte. Sie half ihm auf seinen Thron und winkte einen Diener herbei. Ich stand ein wenig abseits, umgeben von Wachen und Männern, über deren Rolle ich nur Mutmaßungen anstellen konnte. Waren es Berater? Familienangehörige? Sie sahen ebenso vernachlässigt aus wie alle anderen, ausgenommen Deidameia, die mit ihren rosigen Wangen und glänzenden Haaren nicht in dieses triste Bild zu passen schien.
Ein Diener führte uns an unsere Tische. Der König und die Prinzessin blieben auf ihrem Thron auf der anderen Seite des Raumes sitzen. Das Essen wurde aufgetragen. Es war reichlich, doch ich hatte keinen Appetit und schielte immer wieder hinüber zur Prinzessin. Hatte sie mich vergessen? Sollte ich mich ihr in Erinnerung rufen?
Aber dann stand sie plötzlich auf und richtete den Blick auf unseren Tisch. »Fremder vom Pelion«, rief sie, »du wirst nie wieder sagen können, nichts von Deidameias Tänzerinnen gehört zu haben.« Mit ihrer reifgeschmückten Hand winkte sie eine Gruppe von Frauen herbei, zwölf an der Zahl. Sie hatten die Haare verhüllt und mit einem Tuch nach hinten zusammengebunden, tuschelten miteinander und nahmen in der Mitte des Raums Aufstellung, die, wie ich jetzt erkannte, als Tanzboden diente. Ein paar Männer holten Flöten, Trommeln und eine Leier hervor. Deidameia schien nicht darauf zu warten, dass ich antwortete; es kümmerte sie anscheinend nicht, ob ich sie überhaupt gehört hatte. Sie stieg von ihrem Podest herab, trat auf die Frauen zu und wählte eine der größeren von ihnen zur Tanzpartnerin.
Musik setzte ein. Der Tanz bestand aus einer verwirrenden Folge von Schritten, die die jungen Frauen mit Anmut beherrschten. Ich war wider Willen beeindruckt. Die Kleider flogen, der Schmuck an Hand- und Fußgelenken klirrte. Im Kreis wirbelnd, warfen sie wie feurige Pferde die Köpfe in den Nacken.
Deidameia war natürlich die schönste. Mit ihrem goldenen Reif, den offenen Haaren und zierlich winkenden Händen zog sie alle Blicke auf sich. Ihr Gesicht war gerötet vor Vergnügen, und ich hatte den Eindruck, als erstrahlte sie in hellem Licht. Sie lächelte ihrer Partnerin zu, schien ihr fast schöne Augen zu machen. Mal wich sie vor ihr zurück, mal glitt sie ganz nah an sie heran, als wollte sie sich an sie schmiegen. Neugierig geworden, versuchte ich die Frau, mit der sie tanzte, ins Auge zu fassen, doch die anderen versperrten mir den Blick.
Die Musik verstummte, der Tanz war zu Ende. Deidameia ließ die Frauen in einer Reihe Aufstellung nehmen, um Beifall zu empfangen. Ihre Partnerin stand mit gesenktem Haupt neben ihr, deutete wie die anderen einen Knicks an und hob schließlich den Kopf.
Unwillkürlich löste sich ein Laut aus meiner Kehle. Es war so still geworden, dass ihn alle hörten. Die jungen Frauen schauten mich an.
Im Folgenden geschahen mehrere Dinge auf einmal. Achill – es war
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