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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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sie tanzte bei weitem am schönsten.
    »Welche ist deine Tochter?«, fragte Diomedes.
    »Sie ist nicht dabei«, antwortete Lykomedes. »Sie besucht eine Tante.«
    »Schade«, erwiderte Diomedes. »Ich hatte gehofft, diese da sei es.« Er zeigte auf ein kleines Mädchen, das tatsächlich ein wenig aussah wie Deidameia. Sie hatte besonders hübsche Fußfesseln, die unter dem wirbelnden Saum des Kleides zum Vorschein traten.
    Lykomedes räusperte sich wieder. »Bist du vermählt, mein Herr?«
    Diomedes schmunzelte. »Einstweilen, ja«, antwortete er, ohne die Frauen aus den Augen zu lassen.
    Als sie zu Ende getanzt hatten, stand Odysseus auf und sprach mit lauter Stimme: »Wir fühlen uns geehrt durch eure liebreizende Darbietung. Nur wenige können sich rühmen, die Tänzerinnen von Skyros gesehen zu haben. Zum Zeichen unserer Bewunderung haben wir für euch und euren König Geschenke mitgebracht.«
    Die Mädchen tuschelten aufgeregt miteinander. Nur selten gelangten Luxusgüter nach Skyros. Es fehlte einfach an Geld.
    »Zu gütig«, sagte Lykomedes, vor Freude gerötet, wie man sah. Damit hatte er nicht gerechnet. Auf Odysseus’ Zeichen hin schleppten Diener mehrere Koffer in die Halle und luden sie auf den langen Tischen aus. Ich sah Silber blinken, Glas und Edelsteine. Wir alle reckten den Hals, begierig zu sehen, was die Gäste mitgebracht hatten.
    »Bitte, nehmt, was euch gefällt«, sagte Odysseus. Die Mädchen eilten zu den Tischen, und ich beobachtete, wie sie sich über die verführerischen Gaben hermachten: zierliche Glasfläschchen, gefüllt mit Duftwässern und versiegelt mit Wachs, Handspiegel mit Griffen aus geschnitztem Elfenbein, goldene Armreifen, dunkelrot und violett gefärbte Bänder. Manche anderen Dinge waren, wie ich vermutete, für Lykomedes und seine Berater gedacht: Lederschilde, Lanzenschäfte und versilberte Schwerter in Scheiden aus Ziegenleder. Dem alten König gingen die Augen über. Odysseus stand vor den Tischen und lächelte großmütig.
    Achill schlich unauffällig um die Tische. Er tupfte ein paar Tropfen Parfüm auf sein Handgelenk, fuhr mit den Fingern über den glatten Spiegelgriff. Dann betrachtete er ein Paar Ohrringe aus blauen Edelsteinen, gefasst in Silberdraht.
    Eine Bewegung am anderen Ende der Halle ließ mich plötzlich aufmerken. Diomedes hatte den Raum durchquert und sprach mit einem seiner Sklaven, der daraufhin durch die hohe Doppeltür nach draußen ging. Was immer sein Auftrag sein mochte, wichtig konnte er nicht sein, denn Diomedes blickte müde und gelangweilt.
    Ich schaute zurück zu Achill. Er hielt sich die Ohrringe ans Ohr, neigte in mädchenhafter Gebärde den Kopf mal zur einen, mal zur anderen Seite und spitzte die Lippen, was ihn zu amüsieren schien. Unsere Blicke trafen sich, und ich konnte es mir nicht verkneifen zu lächeln.
    Draußen erschallte eine Fanfare, laut und alarmierend. Ein lang gezogener Ton, gefolgt von drei kurzen Stößen: das Signal für unmittelbar drohende Gefahr. Lykomedes sprang auf, die Wachen stürzten zur Tür. Die Mädchen schrien auf und ließen die Geschenke fallen. Klirrend brach Glas auf dem steinernen Boden.
    Alle Mädchen, bis auf eines. Ehe die Fanfare verstummte, hatte Achill eines der silbernen Schwerter aus der Scheide gerissen. Der Tisch, vor dem er stand, versperrte ihm den Weg zur Tür. Er sprang darüber hinweg und schnappte sich dabei eine der Lanzen. Mit erhobenen Waffen und kampfbereit landete er auf beiden Füßen – ganz und gar nicht mädchenhaft. Nicht einmal ein gewöhnlicher Mann vermochte sich so in Stellung zu bringen. Das konnte nur er. Der größte Kämpfer seiner Generation .
    Ich riss meinen Blick von ihm los und sah zu meinem Entsetzen, dass Odysseus und Diomedes bis über beide Ohren grinsten. »Zum Gruße, Prinz Achill«, sagte Odysseus. »Wir haben dich gesucht.«
    Alle Augen waren auf Achill gerichtet, der nun langsam die Waffen senkte. Ich war hilflos und rührte mich nicht.
    »Odysseus«, sagte er mit bemerkenswert ruhiger Stimme. »Diomedes.« Er verneigte sich höflich vor beiden. »Ich fühle mich geehrt, der Anlass so großer Bemühungen zu sein.« Seine Worte klangen vornehm und gleichzeitig ein wenig spöttisch, womit er den Besuchern die Möglichkeit nahm, ihn zu demütigen.
    »Ich nehme an, ihr wollt mit mir sprechen. Einen Moment noch, ich werde gleich bei euch sein.« Er legte Schwert und Lanze zurück auf den Tisch und lüftete sein Kopftuch. Seine Haare schimmerten wie polierte

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