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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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Dann strich er eine nach Bienenwachs riechende Salbe auf die Wunde, um einer Entzündung vorzubeugen, und wickelte schließlich einen Verband um das Bein. Erst als er damit fertig war, blickte er zu mir auf: »Patroklos, nicht wahr? Und du hast bei Cheiron gelernt? Du bist hier willkommen.«
    Draußen wurden plötzlich Rufe und Schmerzensschreie laut. Er deutete mit einer Kopfbewegung zum Zelteingang. »Da kommt wieder einer. Kümmere du dich drum.«
    Soldaten – es waren Nestors Männer – hievten einen Gefährten auf die leere Pritsche in der Ecke des Zelts. Er war an der rechten Schulter von einem Pfeil mit gezackter Spitze getroffen worden. Sein Gesicht war schweißgebadet, der Mund fest zusammengepresst. Er zitterte am ganzen Leib, atmete in kurzen, schnellen Stößen und verdrehte vor Schmerzen die Augen. Ich widerstand der Versuchung, Machaon zu Hilfe zu bitten – er verarztete schon einen anderen Mann, der zu wimmern angefangen hatte –, und langte nach einem Tuch, um meinem Patienten das Gesicht zu trocknen.
    Der Pfeil hatte die dickste Stelle der Schulter durchbohrt und stak auf der anderen Seite neben dem Schulterblatt bis zur Hälfte hervor. Ich würde die Befiederung abbrechen und den Schaft durch die Wunde ziehen müssen, ohne Splitter im Fleisch zurückzulassen, die zu Eiterung und Fäulnis führen könnten.
    Schnell rührte ich, wie von Cheiron gelernt, einen Sud aus Mohn und Weidenrinde an, der die Sinne benebelte und gegen Schmerzen unempfindlich machte. Weil er den Becher nicht selbst halten konnte, hob ich seinen Kopf an, führte den Trunk an seine Lippen und gab acht, dass er sich nicht daran verschluckte. Schweiß und Blut sickerten durch mein Kleid.
    Ich versuchte, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen und stattdessen eine beruhigende Miene aufzusetzen. Es war, wie ich erkannte, Antilochos, ein Sohn von Nestor, und nur wenig älter als ich. Mit seinem hübschen Gesicht geriet er nach dem Vater. »Es wird schon wieder«, redete ich ihm und mir ein.
    Der Pfeilschaft war das eigentliche Problem, denn er steckte so tief, dass vor der Befiederung nur ein kurzes Stück frei geblieben war, weshalb ich fürchten musste, die Wunde weiter aufzureißen, wenn ich den Schaft dort abbrechen würde. Was tun?
    Einer der Soldaten, die ihn gebracht hatten, stand unruhig im Eingang. Ich winkte ihn zu mir.
    »Ein Messer, schnell. Das schärfste, das du auftreiben kannst.« Ich wunderte mich selbst über den festen, gebieterischen Ton meiner Stimme, der zu Gehorsamkeit zwang. Kurz darauf kehrte er mit einer fein geschliffenen Klinge zum Schneiden von Fleisch zurück, an der noch Blut klebte. Er putzte sie an seinem Hemd ab und reichte sie mir.
    Das Gesicht des Jungen hatte sich entspannt; die Zunge hing schlaff im Mund. Über ihn gebeugt, zerdrückte ich das Gefieder mit der einen Hand, setzte mit der anderen das Messer dicht darunter an und fing vorsichtig zu sägen an. Er schnaufte und murmelte halb bewusstlos vor sich hin.
    Ich schnitt und sägte. Mein Rücken fing zu schmerzen an, und ich bereute, seinen Kopf auf meine Knie gelegt und nicht günstiger gebettet zu haben. Schließlich brach das gefiederte Ende ab. Es blieb nur ein langer Splitter stehen, der mit dem Messer schnell entfernt war. Endlich.
    Nun galt es, den Schaft aus der Wunde im Rücken herauszuziehen. Ein noch schwierigeres Unterfangen. Zum Glück kam mir ein guter Einfall zu Hilfe. Ich schmierte das Schaftende mit Wundsalbe ein. So würde es besser durch die Wunde gleiten und diese gleichzeitig von innen desinfizieren. Behutsam machte ich mich ans Werk und zog den Pfeil Stück für Stück heraus. Wie eine kleine Ewigkeit kam mir diese Prozedur vor, doch dann hatte ich es endlich geschafft. Am Ende meiner Kraft, schloss ich dann die Wunde mit einem quer über die Brust gewickelten Verband.
    Später gab mir Podaleirios zu verstehen, dass es unsinnig gewesen sei, das gefiederte Pfeilende so vorsichtig abgeschnitten zu haben. Einmal fest zugepackt, sagte er, und der Schaft wäre durchbrochen gewesen. Eine weiter aufgerissene Wunde und Splitter waren zwar unglücklich, aber schließlich gebe es noch andere Verwundete, um die man sich zu kümmern habe. Machaon jedoch sah, wie gut die Wunde heilte, ganz ohne Entzündung und fast schmerzfrei. Als tags darauf wieder ein Mann mit einer Pfeilwunde eingeliefert wurde, rief er mich zu sich, reichte mir ein scharfes Messer und sah mich erwartungsvoll an.
    Es war eine schwere Zeit. Der Gedanke, dass

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