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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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sich Achills Schicksal bald erfüllen sollte, ließ mich nicht los, zumal das Murren der Götter über den Kriegsverlauf lauter wurde. Doch selbst ich konnte mich nicht gänzlich der Angst überlassen. Ich habe einmal gehört, dass Menschen, die an einem Wasserfall wohnen, sein Rauschen irgendwann nicht mehr hören. So lernte ich mit Furcht und Schrecken zu leben. Die Tage vergingen, und er überstand sie unbeschadet. Monate vergingen, und ich lernte, die Gedanken an seinen Tod zu verdrängen. Das Wunder eines Jahres, dann eines zweiten.
    Auch die anderen schienen sich mit dem, was war, abgefunden zu haben. Wir wuchsen zu einer kleinen Familie zusammen, die sich um das Lagerfeuer scharte und das Abendbrot teilte. Wenn der Mond aufging und die Sterne am schwarzen Himmel funkelten, fanden wir uns alle dort ein – Achill und ich, der alte Phoinix und die jungen Frauen, zuerst nur Brisëis, dann aber auch die anderen, als sie ihre Scheu abgelegt hatten und sicher sein konnten, dass sie bei uns willkommen waren. Und noch einer gesellte sich zu uns: Automedon, der Jüngste von uns mit seinen gerade mal siebzehn Jahren. Er war sehr zurückhaltend und schweigsam, aber, wie wir wussten, ein großartiger Wagenlenker, der mit Achills feurigen Pferden bestens zurechtkam und sie selbst im wildesten Schlachtengetümmel stets unter Kontrolle hatte.
    Es war uns, Achill und mir, ein Vergnügen, die erwachsenen Gastgeber zu spielen, das Fleisch zu verteilen und Wein auszuschenken. War das Feuer heruntergebrannt und die Mahlzeit beendet, verlangten wir von Phoinix, dass er Geschichten erzählte. Er tat es gern. Der Schein der Feuersglut verlieh ihm eine geradezu delphische Aura, aus der manche Auguren vielleicht zukunftsweisende Schlüsse hätten ziehen können.
    Auch Brisëis erzählte Geschichten, traumähnliche Sagen, in denen Sterbliche nichts ahnend verzauberten Göttern begegneten, sonderbaren Wesen – halb Tier, halb Mensch –, die auf dem Lande verehrt wurden und nichts mit den hohen Göttern der Städte gemein hatten. Es war schön, wie sie diese Geschichten mit ihrer leisen, wohlklingenden Stimme vortrug. Manchmal mussten wir auch herzhaft lachen, wenn sie etwa Zyklopen nachmachte oder einen Löwen mimte, der die Witterung von einem versteckten Menschen aufgenommen hatte.
    Wenn wir später allein waren, wiederholte Achill singend Zeilen aus diesen Geschichten, spielte die Leier dazu und bewies damit, wie gut sich diese Erzählungen als Lieder eigneten. Und ich fühlte mich erleichtert, denn er verstand offenbar, warum ich meine Tage mit Brisëis verbrachte und mir das Warten auf ihn so verkürzte. Sie gehörte inzwischen fest zu unserem Kreis, war ein Mitglied unserer Familie.
    Es war während einer dieser Nächte, als Achill sie fragte, was sie über Hektor wusste.
    Sie hatte sich, den Kopf auf die Hände gebettet, zurückgelegt und erschrak ein wenig, als sie seine Stimme hörte. Er sprach sie nur selten an, und auch sie richtete nie direkt das Wort an ihn; das, was ihrem Dorf widerfahren war, konnte nicht so einfach verziehen werden.
    »Ich weiß nicht viel über ihn«, antwortete sie. »Er oder irgendein anderer aus Priamos’ Familie ist mir nie zu Gesicht gekommen.«
    »Aber du hast bestimmt von ihm gehört.« Auch Achill hatte sich aufgerichtet.
    »Ein wenig. Ich weiß mehr über seine Frau.«
    »Lass hören.«
    Sie räusperte sich wie jedes Mal, wenn sie eine Geschichte zu erzählen begann. »Sie heißt Andromache und ist die einzige Tochter von Eëtion, dem König über Kilikien. Es heißt, dass Hektor sie über alle Maßen liebt.
    Er begegnete ihr zum ersten Mal, als er von ihrem Vater Tribut einforderte. Sie hieß ihn willkommen und unterhielt ihn während eines Festmahls. Noch am selben Abend hielt Hektor beim König um ihre Hand an.«
    »Sie muss sehr schön sein.«
    »Ja, aber es heißt, dass Hektor eine noch viel schönere Frau hätte wählen können. Sie ist bekannt für ihr sanftes, freundliches Wesen, und das Volk liebt sie, denn sie schenkt ihm Kleider und Nahrung. Sie war schwanger, aber ich weiß nicht, was aus dem Kind geworden ist.«
    »Wo liegt Kilikien?«, fragte ich.
    »Im Süden, an der Küste. Nicht weit von hier.«
    »In der Nähe von Lesbos«, präzisierte Achill. Brisëis nickte.
    Als wir wieder allein waren, sagte er: »Wir sind über Kilikien hergefallen. Wusstest du das nicht?«
    »Nein.«
    Er nickte. »Ich erinnere mich an diesen Eëtion. Er hatte acht Söhne. Sie haben sich tapfer

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