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Das Lied des Dunklen Engels

Das Lied des Dunklen Engels

Titel: Das Lied des Dunklen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul C. Doherty
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mehr über diesen geheimnisvollen Ort und seine seltsamen Morde erfahren. Hier herrschte ein Nebel, der nicht nur die Augen der Menschen, sondern auch die Augen Gottes trübte. Er schaute Gurney an.
    »Eine Versammlung«, erklärte er mit fester Stimme, »soll einberufen werden!«

Kapitel 4

    N och zur selben Stunde war Marinas Leichnam ins Leichenhaus am Rande des Dorfes gebracht worden. Gleichzeitig hatte man das Langhaus der geräumigen und solide gemauerten Kirche in einen Gerichtssaal verwandelt, wie es der Brauch vorschrieb. Corbett stand vor dem Gotteshaus und schaute an dem gedrungenen Turm in die Höhe, in dem sich auch das große Hauptportal befand. Es stand offen. Er bewunderte die Skulpturen, die dieses und die Fenster schmückten. Die Darstellungen von Tieren, Pflanzen und Fabelwesen verrieten die Hand eines Meisters. Er sah über die Schulter zum Wohnhaus des Geistlichen hinüber, ein großes Fachwerkhaus mit verputzten Mauern und strohgedecktem Dach. Ihn fröstelte. Ein Ort der Geheimnisse, ging es ihm durch den Sinn, warum ist dieses Dorf zu einem Ort der Schatten und plötzlichen Todesfälle geworden? Ranulf, Maltote und er gingen um die Kirche herum und schauten auf den Ginster, das Unkraut und die Brombeerranken, die überall den Weg versperrten.
    »Ein betrüblicher Ort«, sagte Ranulf.
    Corbett betrachtete die ramponierten Holzkreuze und die umgestürzten Grabsteine. Er fragte sich, was Grabräuber hier wohl zu finden hofften, und ging dann zum Portal zurück. Father Augustine kam geschäftig vom Leichenhaus zurück und wischte sich die Hände an seiner Kutte ab. Die Stirn seines hageren Gesichts war in sorgenvolle Falten gelegt. Corbett und seine Gefährten folgten ihm in die Kirche. Sie bewunderten die Holzdecke, die in hellen Farben mit einem Rautenmuster bemalt war.
    Die Wände und Pfeiler des Kirchenschiffs hatten ebenfalls eine kunstvolle Ausschmückung: Sie waren mit grellbunten Hundszahnornamenten bemalt. Die anschaulichen Szenen aus dem Leben Christi im Querschiff wurden von lodernden Fackeln beleuchtet
    In der Kirche herrschte vollkommene Stille. Im Schiff war eine lange Tafel auf Böcken aufgebaut. An jeder Seite saßen je sechs Männer. Am Kopfende thronte Gurney auf einem prunkvollen Stuhl aus dem Chor, der vor den Lettner getragen worden war. Ihm gegenüber nahm Father Augustine Platz, der auch als Dorfschreiber tätig war. Vor ihm waren Pergament, Tintenfaß und Bimsstein aufgebaut, bereit für das Protokoll. Hinter Gurney standen der furchteinflößende Catchpole, Giles Selditch und Master Joseph. Die Dorfbewohner hockten um die Tafel hemm auf dem Boden. Gurney gab Corbett ein Zeichen, näherzutreten, und deutete auf einen Hocker neben sich.
    »Sir Hugh, Ihr sollt mein Zeuge bei diesem Verfahren sein.« Gurney stand auf und erklärte feierlich die Gerichtsverhandlung für eröffnet.
    Corbett folgte dem Geschehen wie gebannt. Er war selbst oft als königlicher Richter oder Bevollmächtigter aufgetreten, hatte aber nie miterlebt, wie über eine ernste Angelegenheit durch das Gericht eines Herrenhofes verhandelt wurde.
    »Der Tod, der uns hier beschäftigen soll«, fing Gurney an, »ist der von Marina, der Tochter von Fulke, dem Gerber, die draußen auf dem Moor barbarisch ums Leben gebracht worden ist. Sie ist vergewaltigt und erdrosselt worden«, er hob die Hand, um den Tumult des Publikums zum Verstummen zu bringen, »von einem oder mehreren uns noch Unbekannten. Nun«, setzte er seine Rede eilig fort, »Ihr kennt die alten Sitten und Gebräuche. Erst einmal müssen die Umstände des Todes niedergeschrieben werden. Dann erst kann, wenn es genug Indizien gibt, gegen eine oder mehrere Personen Anklage erhoben werden.«
    Seine Stimme wurde lauter. »Gibt es tatsächlich Verdächtige, so wird es zu einer oder mehreren Festnahmen kommen, auf die ein fairer Prozeß vor dem nächsten Geschworenengericht folgt.«
    Seinen Worten begegnete gemurmelter Widerspruch. Gurney wischte sich mit den Händen nervös über die Seiten seines Talars. Er schaute auf die Geschworenen zu beiden Seiten des Tisches und schenkte schließlich dem Vogt Robert einen durchdringenden Blick.
    »Ihr habt alle den Eid auf das Buch des Evangeliums abgelegt.« Er zeigte auf den schweren Lederband auf der Tafel. »Jeder, der sich als Zeuge äußert, muß auf das Evangelium schwören. Ich muß nicht daran erinnern, daß Meineid als Kapitalverbrechen gilt.«
    Gurneys letzte Worte hallten wie Totenglocken durch die

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