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Das Lied des Dunklen Engels

Das Lied des Dunklen Engels

Titel: Das Lied des Dunklen Engels
Autoren: Paul C. Doherty
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wurden aufgerufen, um eine Aussage zu machen. Gilberts Name fiel immer wieder. Er hatte in der Dorfschenke die
    Pastoureaux mit bitteren Worten dafür angeklagt, daß sie ihm Marina genommen hätten, und darüber gesprochen, wie sehr er sie vermißte. Einmal an einem denkwürdigen Abend hatte er sogar dreist versichert, daß sie Hunstanton nie verlassen würde. Gurneys Unbehagen wuchs, als andere Zeugen darauf hinwiesen, daß Gunhilda, Gilberts Mutter, die jetzt allgemein nur noch als eine berüchtigte Hexe beschrieben wurde, versucht hatte, ihrem Sohn zu helfen. War sie vielleicht auch diejenige, die frevelhaft die Gräber auf dem Kirchhof geplündert hatte?
    »Der Gebrauch von Schädeln und Knochen von Toten«, sagte ein Mann mit Fistelstimme, »ist bei diesen Galgenvögeln und Hexen der Nacht nichts Ungewöhnliches!«
    Father Augustine wurde daraufhin aufgerufen. »Ich kann nicht sagen«, antwortete er auf eine Frage von Gurney, »ob Gunhilda oder ihr Sohn für den wiederholten Grabraub verantwortlich sind. Dieser ist im letzten Jahr immer wieder vorgekommen, und ich kann mir keinen Reim darauf machen.«
    »Warum sagt Ihr das?« fragte Corbett.
    »Weil die Gräber, die geplündert werden, nie neueren Datums sind. Sie sind oft mehrere Jahrzehnte alt. In ihnen liegen nur noch ein paar Knochen.«
    »Und hat jemals was gefehlt?« fragte Corbett weiter.
    »Soweit ich weiß, nie.«
    In der Kirche wurde es langsam dunkel. Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Gurney faßte, was gesagt worden war, kurz zusammen. Die Geschworenen zogen sich zurück, kamen jedoch sehr bald wieder zurück. Sie traten hinter dem Vogt in die Kirche, der, wie Ranulf flüsternd bemerkte, so wichtig aussah wie ein Hahn auf einem Misthaufen.
    »Habt Ihr ein Urteil?«
    »Das haben wir, edler Herr. Wir kommen zu dem Schluß, daß Marina, die Tochter von Fulke, dem Gerber, von Gilbert ermordet worden ist, und zwar mit Wissen und Unterstützung seiner
    Mutter Gunhilda. Wir fordern die Verhaftung der beiden, damit ihnen der Prozeß auf Leben und Tod gemacht werden kann.« Gurney hob die Hand. »Sie sollen festgenommen werden«, versprach er. Er schaute warnend den Tisch entlang und dann auf die Dorfbewohner, die sich im Kirchenschiff zusammengedrängt hatten und halblaut Drohungen ausstießen. »Sie sollen einen fairen Prozeß bekommen«, sagte er mit fester Stimme. »Sie müssen einen fairen Prozeß haben.«
    Die Menge machte den Eindruck, als ob sie sogleich einen Aufstand beginnen würde. »Die Sitzung dieses Gerichts ist beendet«, sagte Gurney. Er langte in seinen Geldbeutel und legte zwei Silbermünzen auf den Tisch. »Das hier ist für Fulke, den Gerber, um für die Totenmesse seiner Tochter zu bezahlen. Ich werde auch Father Augustine dafür bezahlen, daß er von heute ab bis Ostern Seelenmessen für sie liest, damit ihre Seele Ruhe findet.«
    Die Dorfbewohner, die lärmten wie ein umgestürzter Bienenkorb, umschwärmten die Geschworenen und klopften ihnen auf die Schultern, als diese die Kirche verließen. Father Augustine murmelte, er hätte noch zu tun, gab sein Protokoll Gurney und eilte hinter seiner Gemeinde nach draußen.
    Gurney gab Catchpole ein Zeichen, näher zu kommen. »Nimm Gunhilda und Gilbert mit ein paar Männern fest«, befahl er. »Hoffentlich kommen wir denen aus dem Dorf zuvor. Die Männer drängen sich in der Schankstube des Inglenook und betrinken sich dermaßen, daß sie früher oder später das Gesetz in die eigenen Hände nehmen.«
    Catchpole eilte davon. Gurney stand auf, reckte sich und schaute Corbett an.
    »Wirklich eine fürchterliche Geschichte, Hugh.«
    »Ja, und sie wird nicht gut ausgehen.« Corbett preßte die Lippen zusammen und schaute in Richtung Kirchenportal. Eure Pächter, dachte er, fordern Gerechtigkeit und Blut.
    »Reitet Ihr jetzt zum Herrenhaus zurück, Hugh?«
    »Vielleicht etwas später. Es ist schon ziemlich spät, und ich würde gern noch etwas von der Gegend sehen, bevor es dunkel wird.«
    Corbett entschuldigte sich und ging, begleitet von Ranulf und Maltote, die beide sehr schweigsam waren, zu den Pferden, die auf einer kleinen Koppel hinter dem Haus des Priesters friedlich grasten. Sie ritten, Corbett vornweg, durch das Dorf zurück und betrachteten die weißgestrichenen, strohgedeckten Hütten, die alle von einem kleinen Stück Land umgeben waren. Ein wohlhabender und blühender Ort, dachte er. Trotzdem schien alles von den gewaltsamen Todesfällen überschattet. Das Dorf wirkte ausgestorben.
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