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Das Lied des Dunklen Engels

Das Lied des Dunklen Engels

Titel: Das Lied des Dunklen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul C. Doherty
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»Das wäre entsetzlich.« Sie wand sich. Corbett setzte sich wieder.
    »Dann wollen wir es einmal als eine Frage der Logik betrachten«, sagte Corbett. »Ihr kennt Euer Kloster besser als ich, Lady Cecily. Wo würdet Ihr einen Mann in einer Gemeinschaft von Frauen verstecken?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Er hätte Arbeiter auf unserem Klosterhof werden können.«
    Corbett lachte. »Das ist kaum anzunehmen. Erstens kannte man Alan of the Marsh in dieser Gegend sehr gut, und dann wird die Priorin wohl ein großes Interesse daran gehabt haben, ihn vor neugierigen Augen zu verbergen.«
    »Ich weiß es nicht!« wiederholte Lady Cecily. »Gott ist mein Zeuge, Sir Hugh, ich weiß es nicht!«
    Corbett legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Dürft Ihr immer noch Kirchenasyl gewähren?«
    Lady Cecily schluckte.
    »Nun, habt Ihr oder habt Ihr nicht?« fuhr Corbett sie an. »Unser Kloster verzichtete darauf.«
    »Wann?«
    »Im Jahre 1228.«
    Corbett lächelte. »Und vorher, wenn jemand um Asyl nachsuchte, wo brachte man ihn unter?«
    Lady Cecily erhob sich. »Sir Hugh, ich denke, Ihr kommt jetzt besser mit.«
    Corbett blickte Ranulf vielsagend an, als sie hinter der besorgten Priorin aus dem Zimmer, verschiedene Flure entlang, durch die Kreuzgänge und in die leere Kapelle gingen. Corbett betrachtete bewundernd das hohe Kirchenschiff, das geräumige Querhaus und den wunderbaren geschnitzten Lettner. Lady Cecily führte sie in den Chor mit einem Fußboden aus Purbeckmarmor und einem weißen Altar, der im Kerzenschein schimmerte. Der Chor wurde von den hohen Fenstern aus buntem Glas beherrscht und einem Chorgestühl aus poliertem Eichenholz. Eine kunstvoll geschnitzte Figur der Jungfrau mit dem Kind stand in der hinteren Ecke. Lady Cecily kniete vor der flackernden Lampe des Allerheiligsten nieder.
    »Schaut hier!« Sie streckte die Hand aus.
    Corbett schaute auf die Mauer. Ihm fiel auf, daß ein kleiner Teil von ihr, etwa in Augenhöhe, neu verputzt und sorgfältig angestrichen worden war. Eine ähnliche Unregelmäßigkeit fand sich, etwas größer, im unteren Teil der Mauer.
    »Was war das?« fragte Corbett.
    »Die Zelle einer Anachoretin«, entgegnete Lady Cecily. »Eine kleine Nische in der Mauer mit einer niedrigen Tür, durch die die Eremitin hindurchkriechen, und einer kleinen Öffnung, durch die sie hindurchsehen konnte. In den frühen Tagen des Klosters lebte immer eine Eremitin in dieser Zelle. Sie fastete und betete und nahm an den Gottesdiensten teil, indem sie durch die Öffnung spähte. Die Schwestern stellten Wasser und Brot vor ihre Tür. Mit den Jahren geriet dieser Brauch in Vergessenheit.«
    Da bin ich mir sicher, dachte Corbett und schaute auf das feiste Gesicht der Priorin, ihre mit Gold abgesetzte Haube und ihre Tracht aus reiner Wolle.
    »Und was ist dann passiert?«
    »Irgendwann gab es keine Eremitin mehr, und Hunstanton wurde ein gesetzloser Ort.«
    Zumindest hatte Lady Cecily soviel Anstand, aus Verlegenheit zu erröten.
    »Das Kloster sollte als Zufluchtsort dienen. Flüchtige konnten hier in der Kapelle vierzig Tage lang Schutz finden. Anschließend mußten sie sich stellen.« Lady Cecily holte tief Luft und starrte an die Wand. »Es gibt da Gerüchte«, sagte sie so leise, als würde sie mit sich selbst sprechen.
    »Gerüchte worüber?« fragte Corbett.
    »Geister. Ich habe mich gerade hier nie sonderlich wohl gefühlt.«
    »Dann wollen wir diese Geister austreiben«, sagte Corbett. »Ranulf, begleite die Priorin. Hole Hämmer und Meißel. Dann wollen wir sehen, was wir finden. Oh, übrigens Lady Cecily, das sollte unter uns bleiben. Seid also so freundlich, die Tür der Kapelle zu schließen und zu verriegeln, wenn Ihr zurückkommt.«
    Lady Cecily watschelte, in ihr Schicksal ergeben, davon. Ranulf folgte ihr. Corbett sah sich die Madonna näher an: Der Säugling, den sie im Arm hielt, schaute heiter mit unschuldigen Augen zurück.
    »Mein Gott«, sagte Corbett leise, »was hast du mit ansehen müssen.«
    Von einem Mauerabsatz nahm er eine Kerze, entzündete sie und steckte sie in den eisernen Kerzenständer vor der Jungfrau. Dann kniete er nieder und betete, daß er hier endlich fertig und unversehrt zu Maeve und Eleanor nach London zurückkehren würde.
    Anschließend hockte er sich hin und genoß den Frieden und die Stille der Kapelle. Er schrak auf, als die Tür hastig geöffnet wurde. Ranulf stolzierte mit einer Ledertasche in der Hand den Mittelgang entlang. Hinter ihm verschloß und

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