Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Verstörung und Angst zur Wut gelangte, entzündete sich daran auch wieder die Flamme ihres Willens.
»Wir werden Rache nehmen«, sagte sie sehr leise.
»Is jut«, antwortete Lore und sah ihr endlich in die Augen. »Is jut!«
41. Kapitel
J ohn wäre gerne zu seiner Mistress gegangen, um mit ihr zu reden, aber Gislindis hatte sie alle davon überzeugt, Alyss noch eine Weile in Ruhe zu lassen. So werkelte sie alleine oder mit Lauryn, Catrin oder Lore im Weingarten, blieb in sich gekehrt und ungewohnt ruhig. Er versuchte es zu verstehen. Auch er war vor nicht allzu langer Zeit gefangen genommen worden und hatte einige Wochen in Unsicherheit und unter erbärmlichen Bedingungen leben müssen. Aber er war nicht alleine gewesen, Ritter Arbo und der Tuchhändlersohn Tilo waren bei ihm gewesen. Sie hatten miteinander reden, Pläne schmieden und sich Hoffnung machen können. Alyss aber war alleine gewesen und von einem widerwärtigen Weib drangsaliert worden. Die Frauen berichteten dem Hauswesen getreulich, was Alyss ihnen anvertraute. Schlimmer aber als die Einsamkeit im Turm schien sie das Wissen zu plagen, was Merten ihr alles angetan hatte. John verstand das wohl noch am besten. Sie hatte dem verwaisten jungen Mann, dem Stiefsohn ihres Gatten, immer mit Wohlwollen gegenübergestanden. Dass er hinter der Maske des lustigen Gesellen ein kaltblütiger Mörder war, hatte sie nicht erkannt. Und das belastete sie nun.
Es wurde Zeit, den Kerl aufzustöbern und zur Rechenschaft zu ziehen. Zwei Tage hatte er Zeit zur Flucht gehabt.
»Er muss irgendwo seine Wunden versorgt haben, Marian«, meinte er, als sie in der Bibliothek des Hauses derer vom Spiegel saßen. »Gislindis hat einen guten Wurf getan.«
»Seinen rechten Oberarm hat sie getroffen, was ihm das Reiten zur Qual werden lassen musste. Weit wird er in der Nacht vorgestern nicht gekommen sein.« Marian spielte mit dem Dolch, den er in der letzten Zeit immer bei sich trug.
»Viel Geld hat er vermutlich auch nicht bei sich, und sollte er hier durch ein Stadttor kommen, wird man ihn augenblicklich festnehmen.«
»Wenn er es nicht heimlich tut.«
»Ja, das könnte er versuchen. Aber ich glaube, dass er auf der anderen Rheinseite geblieben ist. Und ich könnte mir sogar vorstellen, wo er Unterschlupf gefunden hat.«
»Constantin vamme Thurme.«
»Du sagst es.«
»Der hat von der Entführung nichts gewusst, sein Knecht Seitz ist nach dieser Übeltat nicht mehr bei ihm aufgetaucht …«
»Aber möglicherweise hat der Turmmeister ihn davon verständigt, dass Seitz hier festgehalten wird.«
»Dann würde er von Isenburgs und Mertens Tat wissen. Und – Merten hat den Isenburg erstochen. Auch das wird inzwischen bekannt sein.«
»Andererseits hatte der Seitz Mertens Namen nicht gekannt …«
»Und Constantin hält ihn für einen guten Jagdkumpanen. Merten wird ihm schon eine gefällige Version der Geschichte auftischen.«
»Suchen wir ihn auf.«
»Doch nicht alleine.«
»Die Knechte …«
»Cedric und Frieder. Und meine Schwester.«
»Alyss? Nein, Marian, sie braucht ihre Zeit, um mit dem Erlebten fertigzuwerden.«
»Falsch, John. Sie braucht ihre Rache. Und glaub mir, zu Pferd ist sie ebenso geübt wie jeder andere von uns.«
»Es könnte gefährlich werden.«
»Dann beschütze sie.«
John stand auf und ging zum Fenster. Es behagte ihm nicht, aber auf der anderen Seite musste er Marian zustimmen. Alyss hatte das Recht auf ihre Rache. Ihr war das größte Unrecht angetan worden. Dass nicht das Hohe Gericht über Mertens Strafe entscheiden würde, war auch seine Auffassung. Obwohl Magister Jakob eine wortgewaltige Anklageschrift verfasst hatte. Die für Isenburg war inzwischen hinfällig. Der Gutsbesitzer hatte sein Leben ausgehaucht – ein weiterer Mord, den Merten zu verantworten hatte.
»Es wird ihr helfen …«, sagte Marian leise.
»Ja, da hast du wohl recht. Brechen wir alsbald auf. Nicht, dass der Kerl sich erholt und sich andere Verstecke sucht.«
»Wenn er nicht bei vamme Thurme ist, wird er andere Freunde behelligen. Constantin wird uns mehr Namen nennen. Ich kümmere mich um die Pferde.«
John hatte sein Schwert gegürtet, die youngmen ihre Bogen gespannt und die Köcher gefüllt und glühten vor Aufregung. Marian trug ein langes Messer am Gürtel und ein kurzes im Stiefel. Seine Mistress trug einen Schlangen-Dolch, und erstmals wieder waren ihre Wangen gerötet und ihre Augen voller Leben. Männerkleidung trug sie und gab ein anmutiges
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